Leitende Bildung – eine neue Funktion in unserem Schulsystem

Seit mehr als 10 Jahren reagieren Gemeinden auf die zunehmende Belastung der Schulleitenden mit der Einführung einer neuen Funktion: Leitende Bildung sind zwischen den Schul- oder Zyklusleitungen, den Behörden und der Verwaltung angesiedelt und koordinieren, steuern und entlasten sie.
Gabriel Schneuwly

Dieser Blogbeitrag entstand in Zusammenarbeit mit Brigitte Schütz, Absolventin des MAS-Lehrgangs Bildungsmanagement.

Starke Zunahme und Ausdifferenzierung der Schulleitungsaufgaben

Seit einigen Jahren sind nicht nur die Lehrpersonen, sondern vor allem auch die Schulleitungen mit ihren vielfältigen Leitungsaufgaben permanent überlastet. Ursache dafür sind eine Vielzahl von strukturellen Veränderungen, welche die bernische Volksschule in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat. Erinnert sei an die Einführung von Artikel 17 des Volksschulgesetzes, die Einführung der schulergänzenden Angebote von Tagesschule und Sozialarbeit (in der Verantwortung der Gemeinden!) und die Einführung eines neuen Lehrplans, die viel stärker schulbezogen erfolgte als in früheren Jahren. Dazu kommen in den letzten Jahren die weltweite Covid-Krise, die Geflüchteten aus der Ukraine oder der akute Fachkräftemangel. Sie alle fordern das System Schule und vor allem die Schulleitenden zusätzlich.

Zögerliche Anpassung der Leitungsstrukturen

Die Gemeinden reagierten und reagieren auf die zunehmende Belastung der Schulleitungen mit verschiedenen Massnahmen. So wurde an allen Schulen in den letzten 10 Jahren ein Schulsekretariat eingeführt. Zunächst standen die Schulleitungen allerdings vor der Herausforderung, die Aufgaben zwischen Schulleitung und Sekretariat neu aufzuteilen, um eine reibungslose Zusammenarbeit zu planen und zu implementieren. Erst dadurch entstand eine spürbare Entlastung für die Schulleitenden.

Parallel dazu haben einzelne Gemeinden spontan auf die Mehrbelastung der Schulleitungen reagiert und eine neue systementlastende Funktion geschaffen: eine Abteilungsleitung Bildung oder eine Gesamt- oder Hauptschulleitung (Sammelbegriff: Leitende Bildung). Diese neue Funktion steht zwischen den Schul- oder Zyklusleitungen, den Behörden und der Verwaltung. Sie soll die Führung und Administration koordinieren, Schulleitungen und auch Bildungsbehörden entlasten, übergeordnete Anfragen und Aufgaben triagieren und zuweisen, strategische Entwicklungen steuern und insgesamt eine wirkungsvollere und leistbare Führungsarbeit ermöglichen.

Noch finden wir Leitende Bildung vor allem in grösseren Gemeinden. Von den oben aufgezeigten strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen sind aber alle Schulen betroffen. Und alle müssen entsprechend mehrere sogenannte gemeindenahe Bildungsaufgaben erfüllen. Auch wenn es für kleinere Schulen keinen Sinn macht, eine zusätzliche neue Funktion zu schaffen, müsste konsequenterweise jede Schule gemäss REVOS 08 (siehe Kantonale Umsetzungshilfe für Gemeinden), der Grösse der Organisationseinheit entsprechend, eine gemeindefinanzierte Teilanstellung für die genannten Bildungsaufgaben anbieten.

Im Rahmen ihrer MAS-Abschlussarbeit hat sich die Co-Autorin dieses Beitrags intensiv mit den unterschiedlichen Organisationsstrukturen, dem breiten Spektrum von gemeindenahen Bildungsaufgaben und deren Belastungsgrössen, und der neuen Funktion der Leitenden Bildung auseinandergesetzt (Schütz, 2022a). Nachfolgend einige wichtige Gedanken aus dieser Arbeit.

Unterschiedliche Organisationsstrukturen

Ein Blick auf die Organisationsstrukturen von 24 Gemeinden, die über Leitende Bildung verfügen, zeigt, wie vielfältig die Organisationsformen sind. Sie werden zum Teil unterschiedlich benannt und finanziert.

Tabelle 1: Angaben zu Leitende Bildung (anonymisiert) und deren Anstellungsprozente (Schütz, 2022a)

Breites Spektrum von gemeindenahen Bildungsaufgaben

Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat die Co-Autorin dieses Beitrags ausserdem erhoben, worin die gemeindenahen Schulleitungsaufgaben bestehen und in welchem Umfang sie zu bewältigen sind. Die Befragung von 24 Schulen führte zur wenig überraschenden Erkenntnis, dass sich im Verlauf der vergangenen Jahre vor dem Hintergrund mehrerer Reformen und unterschiedlicher Entwicklungen eine Reihe neuer gemeindenaher Schulleitungsaufgaben ergeben haben.

In der untenstehenden Grafik sind die gemeindenahen Aufgaben mit den von Leitenden Bildung genannten Belastungsgrössen (blaue Balken; 0 = keine Belastung / 4 = sehr grosse Belastung) und der maximalen Standardabweichung (schwarze Linie oberhalb der blauen Balken) aufgelistet.

Grafik: Belastungsgrössen gemeindenaher Bildungsaufgaben (Schütz, 2022)

Damit wird ersichtlich, dass sich eine Vielzahl von neuen Schulleitungsaufgaben wie z.B. Unterstützung der Verwaltung, Personalführung der Leitung Tagesschule oder Informatik gar nicht unter die lastenausgleichsberechtigten fünf Hauptaufgaben der Schulleitung (LAV Art. 89: Personalführung, pädagogische Leitung, Qualitätsentwicklung und -evaluation, Organisation und Administration, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit) subsummieren lassen, denn es handelt sich hauptsächlich um Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde und nicht gegenüber dem Kanton. Letzterer hat sich im Rahmen des Reformprojekts REVOS 08 in einer Umsetzungshilfe für Gemeinden erstmals zu diesem Umstand geäussert und – wie bereits einleitend erwähnt – darauf hingewiesen, dass diese gemeindenahen Bildungsaufgaben zusätzlich zu finanzieren seien (Pt. 4.2.5 und 4.2.6).

Neue Herausforderungen für de strategisch-politische Führungsarbeit

Auf der strategisch-politischen wie auch auf der operativ-betrieblichen Führungsebene ergibt sich in den letzten Jahren aufgrund der neu hinzugekommenen Leitungsaufgaben zusätzlicher Steuerungsbedarf. Alle Akteure brauchen dazu ein gemeinsames Führungsverständnis, um ihre unterschiedlichen Rationalitäten und Motivationen zugunsten einer erfolgreichen Zusammenarbeit wirksam zur Geltung zu bringen (Stucki-Sabeti und Bonhage 2021).

Eine Leitung Bildung orchestriert die «strategisch-operative Steuerungszone» (Schütz 2022a). Sie steuert die Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Führungstrias (Behörde, Schulleitung und Verwaltung) im Rahmen der sich verändernden Bedingungen. Ein gemeinsames Verständnis und eine gute Zusammenarbeit sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren.

 

Empfehlungen für die Gemeinden

Gemeinden können auf der Grundlage von vier Kriterien einschätzen, wie hoch ihr Bedarf nach einer Leitung Bildung ist (siehe dazu die nachfolgende Tabelle): Als erstes Kriterium fällt die Grösse der Organisationseinheit ins Gewicht. Und ab einer gewissen Grösse fallen dann sehr oft zusätzliche besondere Aufgaben (MR- oder Sekundarstufe I -Aufgaben) anderer Gemeinden aus der Region an. Wenn die Schulleitung dann noch mehrere Standorte, Kommissionen oder den Transport bedienen muss, erhöht sich auch rasch der Faktor Komplexität. Die Führungsspanne ist schliesslich als letzter und zeitintensivster Faktor zu berücksichtigen.

Tabelle 2: Bemessungs- oder Einschätzungskriterien für eine Leitung Bildung (Schütz, 2022a)

Gemeinden und Schulbehörden, die interessiert sind, die Funktion Leitende Bildung zu implementieren, können sich in einer Broschüre über das anspruchsvolle Vorhaben informieren (Schütz, 2022b). In der Broschüre wird die Schulleitungsarbeit in Politik und Öffentlichkeit differenziert dargestellt. Ausserdem werden die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse der MAS-Abschlussarbeit aus der Befragung und dem anschliessenden Workshop zusammengefasst, wichtige Argumente für eine vermehrte Steuerungskoordination erläutert, die Hauptaufgaben von Leitenden Bildung aufgelistet und drei Organisationsformen für je unterschiedliche Gemeindestrukturen aufgezeigt.

Es ist zu hoffen, dass die Politik in nächster Zeit den hohen Belastungen der Schulleitungen Rechnung trägt und mit zukunftsgerichteten Lösungen und den entsprechenden Ressourcen auf die Entwicklungen der letzten Jahre reagiert.

Infobox

Der Beitrag bezieht sich auf die Abschlussarbeit «Leitende Bildung im Kanton Bern», welche Brigitte Schütz im Rahmen des MAS-Lehrgangs «Bildungsmanagement» verfasst hat. Die Arbeit wurde von Gabriel Schneuwly betreut.

  • Erziehungsdirektion des Kantons Bern (Hrsg.). (2008). REVOS 08. Organisation und Schulführung. Umsetzungshilfe für Gemeinden, vom 03.07.2008. Bern, Schweiz.
  • Schütz, B. (2022). Leitende Bildung im Kanton Bern. Untersuchungen und Empfehlungen für Gemeindebehörden zu den unterschiedlichen Organisationsformen einer steuernden Schulleitung. (unveröffentlichte MAS-Arbeit). Pädagogische Hochschule Bern.
  • Schütz, B. (2022) Interesse an einer Leitung Bildung? Empfehlungen für Gemeinden. September 2022, Heimberg, Schweiz.
  • Stucki-Sabeti, S., Bonhage, B. (2021). Wie gelingt die Zusammenarbeit zwischen Schulbehörden, Schulleitungen und Schulverwaltungen? In P. Senn, (Hrsg.). Schulführungsmodell SFM. Ein betriebswirtschaftlicher Orientierungsrahmen für Schulleitungen und Schulbehörden öffentlicher Volksschulen der Schweiz (S.75-94). Wiesbaden, Deutschland: Springer.
  • Verordnung über die Anstellung von Lehrkräften (LAV) vom 28.03.2007 (Stand 01.08.2017), BSG 430.251.0.
Der Beitrag gibt die Sicht der Autorin bzw. des Autors wieder.
Gabriel Schneuwly ist Dozent am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der Pädagogischen Hochschule PHBern.

Brigitte Schütz ist Hauptschulleiterin und Schulleiterin Zyklus 2, Schulen Grauholz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Artikel

Fünf Gründe für das Draussenlernen in der Weiterbildung

Von kreativem Denken bis zu nachhaltigem Handeln: das Lernen draussen in der Natur hat zahlreiche Vorteile. Warum sich das Draussenlernen nicht nur für Kinder und Jugendliche lohnt, sondern auch in der Erwachsenenbildung gewinnbringend ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Digitale Transformation und „Steppenhexen“: Lasst uns wenigstens die Windrichtung bestimmen

Die digitale Transformation hat vielfältige Auswirkungen auf das Lernen und Lehren. Schulen sollten gezielt darüber nachdenken, wie sie die neuen Technologien in den Schulalltag integrieren können und was diese zu einer qualitativ hochwertigen Bildung für Schülerinnen und Schüler beitragen können.

Partizipativ führen – (k)ein Märchen?

Die Zeiten sind vorbei, als Führungskräfte top down über die Ziele, Inhalte ihres Unternehmens sowie über ihre Mitarbeitenden bestimmten. Die Möglichkeit, sich weltweit zu vernetzen, hat Denk- und Entwicklungsräume eröffnet, die weit über die Grenzen des einzelnen Unternehmens hinausgehen. Dieses Potenzial gilt es produktiv zu nutzen.

Ähnlicher Artikel

Fünf Gründe für das Draussenlernen in der Weiterbildung

Von kreativem Denken bis zu nachhaltigem Handeln: das Lernen draussen in der Natur hat zahlreiche Vorteile. Warum sich das Draussenlernen nicht nur für Kinder und Jugendliche lohnt, sondern auch in der Erwachsenenbildung gewinnbringend ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert