Brandaktuell – wieso brisante Themen im Schulzimmer besprechen?

In einer zunehmend vernetzten Welt ist es entscheidend, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur aktuelle Ereignisse kennen, sondern auch die Fähigkeit entwickeln, diese zu verstehen, zu verarbeiten und respektvoll darüber zu diskutieren – sei es bei internationalen Konflikten, Fake News oder Themen wie Geschlechterfragen und Sexualität.

Mehr denn je werden junge Menschen durch soziale Medien mit gewalttätigen oder kontroversen Ereignissen konfrontiert. Diese beunruhigenden Geschehnisse können ihr Wohlbefinden beeinflussen. Unweigerlich tragen Kinder und Jugendliche diese Vorfälle und ihre Reaktionen darauf auch mit in die Schule (Pace, 2021). Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass Lehrpersonen in ihrem Unterricht brandaktuelle Themen einbeziehen und konstruktive Diskussionen führen.

Das Schulzimmer als Diskussionsraum

Zugegebenermassen ist es verlockend, kontroversen Themen im Unterricht möglichst auszuweichen – die Integration solcher Themen in den Unterricht ist für Lehrpersonen eine Herausforderung. Schülerinnen und Schüler diskutieren solche Themen aber ohnehin. Das Vermeiden einer Behandlung im Unterricht führt dazu, dass sie ohne Unterstützung von Lehrpersonen kontroverse Themen möglicherweise undifferenziert wahrnehmen und erschliessen. Es besteht somit die Gefahr, dass Themen einseitig und aufgeladen besprochen werden. Indem Lehrpersonen Raum für die Diskussion kontroverser Themen schaffen, können sie zeigen, wie Offenheit bewahrt wird, wie auf entgegengesetzte Standpunkte gehört und wie zwischen verschiedenen Meinungen und verletzenden oder ausschliessenden Haltungen differenziert werden kann.

Proaktive Kommunikation mit Eltern

Lehrpersonen sorgen sich teilweise berechtigt über mögliche Reaktionen von Eltern, die Bedenken hinsichtlich der Beeinflussung ihrer Kinder äussern könnten. Daher ist eine proaktive Kommunikation mit Eltern wichtig (Pace, 2021). Lehrpersonen sollten den Eltern und der Schulleitung ihre Überlegungen zu brandaktuellen Lehrplanthemen im Voraus mitteilen. Sie machen damit deutlich, dass das Ziel des Unterrichts zu kontroversen Themen nicht darin besteht, zu indoktrinieren, sondern dass die Schülerinnen und Schüler mehrere Perspektiven untersuchen und sich ihre eigene Meinung bilden können. Offene Kommunikationswege verringern die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand unwohl fühlt oder Widerstand leistet.

Brandaktuelle Themen eignen sich sehr gut, im Unterricht kritisches Denken zu fördern.
Olivia Droz-dit-Busset, Wissenschaftliche Mitarbeiterin PHBern

Konflikte in der Klasse vermeiden dank offenem Diskussionsklima

Lehrpersonen haben zum Teil auch Bedenken hinsichtlich potenzieller Konflikte innerhalb der Klasse. Um Konflikte im Klassenzimmer zu vermeiden, ist die Gemeinschaftsbildung in der Klasse entscheidend. Die wissenschaftliche Literatur (Hahn, 2011, und Ho et al., 2017 für eine Übersicht) zeigt: Ein offenes Diskussionsklima kann dazu beitragen, potenzielle Konflikte in der Klasse zu verhindern. Wichtig ist, dass die Lehrperson die Schülerinnen und Schüler ermutigt, ihre Meinung auszudrücken. Schülerinnen und Schüler sollen sich frei fühlen, mit ihren Lehrpersonen und Mitschülerinnen und Mitschülern in einer Sache auch einmal nicht einverstanden zu sein, was wiederum produktive Diskussionen begünstigt. In diesem Kontext haben Schülerinnen und Schüler auch die Möglichkeit, wichtige zwischenmenschliche Fähigkeiten wie aktives Zuhören und respektvolle Formulierung von Meinungsverschiedenheiten zu entwickeln. Die Diskussion kontroverser Themen im Klassenzimmer trägt somit nicht nur zur intellektuellen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler bei, sondern scheint auch Toleranz, Respekt und ein tieferes Verständnis für Vielfalt zu fördern (Hess & McAvoy, 2015), was wiederum eine Dialogkultur unterstützt, die in der Gesellschaft von wichtigem Wert ist.

Kritisches Denken fördern

Die Notwendigkeit, Schülerinnen und Schüler auf solche Themen vorzubereiten, wird durch die steigende Verbreitung von Fake News und Fehlinformationen immer grösser. Brandaktuelle Themen eignen sich sehr gut, im Unterricht kritisches Denken zu fördern und Schülerinnen und Schülern die Werkzeuge zu geben, um Quellen zu überprüfen und Fakten von Meinungen zu unterscheiden. In einer Welt, die von ständigem Informationsfluss geprägt ist, sind diese Fähigkeiten entscheidend.
Die Auseinandersetzung mit kontroversen Themen in der Schule ist ein Schlüssel zur Beantwortung dessen, was Walter Parker (2003) als „die zentrale staatsbürgerliche Frage unserer Zeit“ bezeichnet: „Wie können wir gerecht zusammenleben, auf eine Art und Weise, die gegenseitig befriedigend ist und die unsere Unterschiede, sowohl individuell als auch in der Gruppe, intakt lässt und unsere vielfältigen Identitäten anerkennt?“ (S. 20). Solche Diskussionen tragen dazu bei, unabhängige Denkerinnen und Denker mit Zivilcourage heranzubilden, die schwierige Fragen stellen, um verantwortungsvolle und gut informierte Entscheidungen zu treffen (Engle & Ochoa, 1988).

Fazit

Die gezielte Auseinandersetzung mit brandaktuellen Themen trägt dazu bei, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern heranzubilden, die in der Lage sind, aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen, informierte Entscheidungen zu treffen und sich respektvoll mit unterschiedlichen Perspektiven auseinanderzusetzen. Diese Kompetenzen bilden das Fundament unserer Demokratie.

Brandaktuell an der PHBern

Das erste Angebot ist bereits aufgeschaltet. Die Veranstaltungsreihe befindet sich in Entwicklung, die Angebote werden laufend ausgebaut.

Literatur

Engle S. H. & Ochoa, A. S.  (1988). Education for democratic citizenship: decision making in the social sciences. New York: Teachers College Press.

Hahn, C.L. (2011). Issues-Centred Pedagogy and Classroom Climate for Discussion: A View from the United States. In: Kennedy, K.J., Lee, W.O., Grossman, D.L. (eds) Citizenship Pedagogies in Asia and the Pacific. CERC Studies in Comparative Education, vol 28. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-007-0744-3_15

Hess, D. E., & McAvoy, P. (2015). The political classroom: Evidence and ethics in democratic education. New York, NY: Routledge

Parker, W. C. (2003). Teaching democracy: Unity and diversity in public life. Teachers College Press.

Pace, J. L. (2021). Hard questions: Learning to teach controversial issues. Rowman & Littlefield Publishers, Incorporated.

 

Der Beitrag gibt die Sicht der Autorin bzw. des Autors wieder.
Olivia Droz-dit-Busset ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der Pädagogischen Hochschule PHBern.

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