Leitende Bildung – eine neue Funktion in unserem Schulsystem
Dieser Blogbeitrag entstand in Zusammenarbeit mit Brigitte Schütz, Absolventin des MAS-Lehrgangs Bildungsmanagement.
Starke Zunahme und Ausdifferenzierung der Schulleitungsaufgaben
Seit einigen Jahren sind nicht nur die Lehrpersonen, sondern vor allem auch die Schulleitungen mit ihren vielfältigen Leitungsaufgaben permanent überlastet. Ursache dafür sind eine Vielzahl von strukturellen Veränderungen, welche die bernische Volksschule in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat. Erinnert sei an die Einführung von Artikel 17 des Volksschulgesetzes, die Einführung der schulergänzenden Angebote von Tagesschule und Sozialarbeit (in der Verantwortung der Gemeinden!) und die Einführung eines neuen Lehrplans, die viel stärker schulbezogen erfolgte als in früheren Jahren. Dazu kommen in den letzten Jahren die weltweite Covid-Krise, die Geflüchteten aus der Ukraine oder der akute Fachkräftemangel. Sie alle fordern das System Schule und vor allem die Schulleitenden zusätzlich.
Zögerliche Anpassung der Leitungsstrukturen
Die Gemeinden reagierten und reagieren auf die zunehmende Belastung der Schulleitungen mit verschiedenen Massnahmen. So wurde an allen Schulen in den letzten 10 Jahren ein Schulsekretariat eingeführt. Zunächst standen die Schulleitungen allerdings vor der Herausforderung, die Aufgaben zwischen Schulleitung und Sekretariat neu aufzuteilen, um eine reibungslose Zusammenarbeit zu planen und zu implementieren. Erst dadurch entstand eine spürbare Entlastung für die Schulleitenden.
Parallel dazu haben einzelne Gemeinden spontan auf die Mehrbelastung der Schulleitungen reagiert und eine neue systementlastende Funktion geschaffen: eine Abteilungsleitung Bildung oder eine Gesamt- oder Hauptschulleitung (Sammelbegriff: Leitende Bildung). Diese neue Funktion steht zwischen den Schul- oder Zyklusleitungen, den Behörden und der Verwaltung. Sie soll die Führung und Administration koordinieren, Schulleitungen und auch Bildungsbehörden entlasten, übergeordnete Anfragen und Aufgaben triagieren und zuweisen, strategische Entwicklungen steuern und insgesamt eine wirkungsvollere und leistbare Führungsarbeit ermöglichen.
Noch finden wir Leitende Bildung vor allem in grösseren Gemeinden. Von den oben aufgezeigten strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen sind aber alle Schulen betroffen. Und alle müssen entsprechend mehrere sogenannte gemeindenahe Bildungsaufgaben erfüllen. Auch wenn es für kleinere Schulen keinen Sinn macht, eine zusätzliche neue Funktion zu schaffen, müsste konsequenterweise jede Schule gemäss REVOS 08 (siehe Kantonale Umsetzungshilfe für Gemeinden), der Grösse der Organisationseinheit entsprechend, eine gemeindefinanzierte Teilanstellung für die genannten Bildungsaufgaben anbieten.
Im Rahmen ihrer MAS-Abschlussarbeit hat sich die Co-Autorin dieses Beitrags intensiv mit den unterschiedlichen Organisationsstrukturen, dem breiten Spektrum von gemeindenahen Bildungsaufgaben und deren Belastungsgrössen, und der neuen Funktion der Leitenden Bildung auseinandergesetzt (Schütz, 2022a). Nachfolgend einige wichtige Gedanken aus dieser Arbeit.
Unterschiedliche Organisationsstrukturen
Ein Blick auf die Organisationsstrukturen von 24 Gemeinden, die über Leitende Bildung verfügen, zeigt, wie vielfältig die Organisationsformen sind. Sie werden zum Teil unterschiedlich benannt und finanziert.
Breites Spektrum von gemeindenahen Bildungsaufgaben
Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat die Co-Autorin dieses Beitrags ausserdem erhoben, worin die gemeindenahen Schulleitungsaufgaben bestehen und in welchem Umfang sie zu bewältigen sind. Die Befragung von 24 Schulen führte zur wenig überraschenden Erkenntnis, dass sich im Verlauf der vergangenen Jahre vor dem Hintergrund mehrerer Reformen und unterschiedlicher Entwicklungen eine Reihe neuer gemeindenaher Schulleitungsaufgaben ergeben haben.
In der untenstehenden Grafik sind die gemeindenahen Aufgaben mit den von Leitenden Bildung genannten Belastungsgrössen (blaue Balken; 0 = keine Belastung / 4 = sehr grosse Belastung) und der maximalen Standardabweichung (schwarze Linie oberhalb der blauen Balken) aufgelistet.
Damit wird ersichtlich, dass sich eine Vielzahl von neuen Schulleitungsaufgaben wie z.B. Unterstützung der Verwaltung, Personalführung der Leitung Tagesschule oder Informatik gar nicht unter die lastenausgleichsberechtigten fünf Hauptaufgaben der Schulleitung (LAV Art. 89: Personalführung, pädagogische Leitung, Qualitätsentwicklung und -evaluation, Organisation und Administration, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit) subsummieren lassen, denn es handelt sich hauptsächlich um Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde und nicht gegenüber dem Kanton. Letzterer hat sich im Rahmen des Reformprojekts REVOS 08 in einer Umsetzungshilfe für Gemeinden erstmals zu diesem Umstand geäussert und – wie bereits einleitend erwähnt – darauf hingewiesen, dass diese gemeindenahen Bildungsaufgaben zusätzlich zu finanzieren seien (Pt. 4.2.5 und 4.2.6).
Neue Herausforderungen für de strategisch-politische Führungsarbeit
Auf der strategisch-politischen wie auch auf der operativ-betrieblichen Führungsebene ergibt sich in den letzten Jahren aufgrund der neu hinzugekommenen Leitungsaufgaben zusätzlicher Steuerungsbedarf. Alle Akteure brauchen dazu ein gemeinsames Führungsverständnis, um ihre unterschiedlichen Rationalitäten und Motivationen zugunsten einer erfolgreichen Zusammenarbeit wirksam zur Geltung zu bringen (Stucki-Sabeti und Bonhage 2021).
Eine Leitung Bildung orchestriert die «strategisch-operative Steuerungszone» (Schütz 2022a). Sie steuert die Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Führungstrias (Behörde, Schulleitung und Verwaltung) im Rahmen der sich verändernden Bedingungen. Ein gemeinsames Verständnis und eine gute Zusammenarbeit sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren.
Empfehlungen für die Gemeinden
Gemeinden können auf der Grundlage von vier Kriterien einschätzen, wie hoch ihr Bedarf nach einer Leitung Bildung ist (siehe dazu die nachfolgende Tabelle): Als erstes Kriterium fällt die Grösse der Organisationseinheit ins Gewicht. Und ab einer gewissen Grösse fallen dann sehr oft zusätzliche besondere Aufgaben (MR- oder Sekundarstufe I -Aufgaben) anderer Gemeinden aus der Region an. Wenn die Schulleitung dann noch mehrere Standorte, Kommissionen oder den Transport bedienen muss, erhöht sich auch rasch der Faktor Komplexität. Die Führungsspanne ist schliesslich als letzter und zeitintensivster Faktor zu berücksichtigen.
Gemeinden und Schulbehörden, die interessiert sind, die Funktion Leitende Bildung zu implementieren, können sich in einer Broschüre über das anspruchsvolle Vorhaben informieren (Schütz, 2022b). In der Broschüre wird die Schulleitungsarbeit in Politik und Öffentlichkeit differenziert dargestellt. Ausserdem werden die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse der MAS-Abschlussarbeit aus der Befragung und dem anschliessenden Workshop zusammengefasst, wichtige Argumente für eine vermehrte Steuerungskoordination erläutert, die Hauptaufgaben von Leitenden Bildung aufgelistet und drei Organisationsformen für je unterschiedliche Gemeindestrukturen aufgezeigt.
Es ist zu hoffen, dass die Politik in nächster Zeit den hohen Belastungen der Schulleitungen Rechnung trägt und mit zukunftsgerichteten Lösungen und den entsprechenden Ressourcen auf die Entwicklungen der letzten Jahre reagiert.
Infobox
Der Beitrag bezieht sich auf die Abschlussarbeit «Leitende Bildung im Kanton Bern», welche Brigitte Schütz im Rahmen des MAS-Lehrgangs «Bildungsmanagement» verfasst hat. Die Arbeit wurde von Gabriel Schneuwly betreut.
- Erziehungsdirektion des Kantons Bern (Hrsg.). (2008). REVOS 08. Organisation und Schulführung. Umsetzungshilfe für Gemeinden, vom 03.07.2008. Bern, Schweiz.
- Schütz, B. (2022). Leitende Bildung im Kanton Bern. Untersuchungen und Empfehlungen für Gemeindebehörden zu den unterschiedlichen Organisationsformen einer steuernden Schulleitung. (unveröffentlichte MAS-Arbeit). Pädagogische Hochschule Bern.
- Schütz, B. (2022) Interesse an einer Leitung Bildung? Empfehlungen für Gemeinden. September 2022, Heimberg, Schweiz.
- Stucki-Sabeti, S., Bonhage, B. (2021). Wie gelingt die Zusammenarbeit zwischen Schulbehörden, Schulleitungen und Schulverwaltungen? In P. Senn, (Hrsg.). Schulführungsmodell SFM. Ein betriebswirtschaftlicher Orientierungsrahmen für Schulleitungen und Schulbehörden öffentlicher Volksschulen der Schweiz (S.75-94). Wiesbaden, Deutschland: Springer.
- Verordnung über die Anstellung von Lehrkräften (LAV) vom 28.03.2007 (Stand 01.08.2017), BSG 430.251.0.
Brigitte Schütz ist Hauptschulleiterin und Schulleiterin Zyklus 2, Schulen Grauholz.