„Empfehlungen bringen uns nicht weiter“
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Welche Aus- und Weiterbildung haben Mitarbeitende von schulergänzenden Tagesstrukturen (SET) in der Schweiz? Einen Konsens oder eine nationale Haltung dazu gibt es in der Schweiz noch nicht. Wäre dies nötig? Was würde es der Praxis bringen? In diesem Blogbeitrag werden die zentralen Ergebnisse des Forschungs- und Entwicklungsprojekts und der nationalen Tagung vorgestellt, die von der PHBern im Rahmen des von Movetia unterstützten Projekts CONSENT organisiert wurde.
Tagesschulen sind im Kanton Bern zur Normalität geworden (siehe vergangene Blogbeiträge zum Thema) und leisten gemäss der Tagesschulverordnung und des Volksschulgesetzes einen Beitrag zum Auftrag der Volksschule. Laut der Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) gibt es im Kanton Bern insgesamt 274 Tagesschulen, 94% der Kinder haben einen Zugang zu einem Angebot [1]. Der Blick in andere Kantone – wie zum Beispiel Zürich und Basel-Stadt – zeigt, dass Betreuungsangebote für Schulkinder in urbanen Gebieten sehr beliebt sind und rege genutzt werden [2]. In ländlichen Gemeinden liegt der Anteil von Kindern, die Betreuungsangebote nutzen, eher unter dem nationalen Durchschnitt von rund 37% [3] . Trotzdem ist der Ausbau der sogenannten «Schulergänzenden Tagesstrukturen» (SET) schweizweit kaum mehr zu bremsen. Diese Zunahme an Betreuungsstunden und -plätzen hat Konsequenzen für den Bedarf an qualifiziertem Personal: Wie kann dieser gedeckt werden?
Im Rahmen des Forschungsprojekts CONSENT hat ein Forschungsteam der Pädagogischen Hochschulen Bern, Zürich und FHNW die Situation in der Schweiz und im Ausland analysiert. Die Ergebnisse wurden am 23.05.2025 an einer nationalen Tagung vorgestellt (in diesem Foliensatz mehr erfahren).
Professionalität = Qualität?
Für die Qualität der Betreuung, die Kinder in SET erleben, sind die professionellen Kompetenzen und die persönlichen Voraussetzungen (Haltungen/Einstellungen) der Mitarbeitenden von zentraler Bedeutung. Gut ausgebildete Fachkräfte gestalten einen abwechslungsreichen Betreuungsalltag. Sie begleiten die Kinder, setzen sich für stabile Beziehungen ein und gestalten wertvolle Interaktionen. Dies wird in Forschungskreisen als Prozessqualität bezeichnet. Zur Prozessqualität gehören zum Beispiel auch Aspekte wie das Angebot von Partizipationsmöglichkeiten für die Kinder. Diese Aspekte werden im Alltag der SET gemeinsam von den Mitarbeitenden und den Kindern gestaltet.
Bei der Strukturqualität ist es anders: Sie ist eine eher stabile Rahmenbedingung – denken wir zum Beispiel an die Räumlichkeiten oder eben die Ausbildungshintergründe der Mitarbeitenden. In der Schweiz gibt es jedoch dazu keine klaren, einheitlichen Vorgaben. Im föderalistischen System sind die Kantone und Gemeinden für die bildungspolitische Steuerung der SET zuständig und schlussendlich auch dafür verantwortlich, welche Qualität Kinder in SET erleben. Diesbezüglich ist sich die internationale Forschung einig, denn nicht nur die Schweiz, sondern auch Deutschland, Schottland, Island oder Schweden setzen sich mit diesen Fragen auseinander.

Unterschiedliche Begriffe - unklare Vorgaben
Im Rahmen des Forschungsprojekts CONSENT wurden die kantonalen gesetzlichen Grundlagen für SET analysiert. Es zeigte sich nicht nur das bekannte Bild der vielfältigen Begrifflichkeiten, sondern auch, dass die Ziele dieser Angebote unterschiedlich definiert werden. Sie reichen von wirtschaftlichen Argumenten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf über Betreuung bis hin zur Förderung. Auch sind in vielen Kantonen die Gemeinden für die Qualitätssicherung zuständig und selten bestehen konkrete Vorgaben. Auf nationaler Ebene werden lediglich Empfehlungen ausgesprochen, zum Beispiel von der EDK/SODK oder kibesuisse.
Was heisst eigentlich "pädagogisch qualifiziert"?
Die meisten Kantone unterscheiden in Bezug auf das Personal zwischen Mitarbeitenden mit und solchen ohne pädagogische Qualifikation. Auffallend ist dabei, dass die Kantone «pädagogisch qualifiziert» unterschiedlich definieren. Während in einigen Kantonen ein Studium – zum Beispiel Sozialpädagogik oder Soziale Arbeit – oder eine Berufsausbildung (Fachperson Kinderbetreuung, FaBeKin) dafür notwendig sind, reichen in anderen Kantonen kürzere Kursangebote aus, die zum Beispiel von Pädagogischen Hochschulen oder privaten Anbietern bereitgestellt werden. Sollte es also nicht «sozial-pädagogisch qualifiziert» heissen?
Ausserdem zeigt sich ein klarer Unterschied zwischen Ausbildung und Weiterbildung für Mitarbeitende in SET: Die oben genannten eidgenössisch anerkannten Ausbildungen und Studiengänge sind anhand klarer Studienpläne und Kompetenzraster strukturiert. Sie vermitteln allgemeine (sozial-)pädagogische Grundlagen.
Die Inhalte der Weiterbildungen sind nicht so klar definiert. Sie werden von privaten oder öffentlichen Institutionen angeboten. Dazu gehören Vereine (kibesuisse, Verein Berner Tagesschulen), Verbände und Stiftungen sowie die Berufs-, Fach- und Fortbildungsschulen (zum Beispiel BFF, und weitere Berufsbildungszentren oder Fachschulen) und auch die Pädagogischen Hochschulen. Die systematische Auswertung der Weiterbildungsangebote dieser Institutionen zeigt auf, dass auf sehr unterschiedliche Kompetenzen fokussiert wird. Einerseits geht es um die persönlichen und professionellen Kompetenzen der Mitarbeitenden, zum Beispiel Reflexionsfähigkeit, Wissen über pädagogische Grundlagen, Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Andererseits geht es auch darum, bei und mit den Kindern bestimmte Kompetenzen fördern zu können, wie zum Beispiel sprachliche, musische oder kreative Angebote zu gestalten. Ebenso wird deutlich, dass sich die Weiterbildungsangebote selten auf eine Chronologie oder einen Studienplan ausrichten, sondern auf Bedürfnisse und Themen aus dem Praxisfeld ausgerichtet werden. Und schliesslich orientieren sich die Angebote häufig an Trends, wie der «Neuen Autorität», Umgang mit Neurodiversität oder herausforderndem Verhalten.
Zur Frage, was als pädagogisch qualifiziert gilt: Dies wird durch die eidgenössisch anerkannten Ausbildungsangebote und die kantonalen Qualitätsvorgaben bestimmt. Unklar bleibt oft, wie die Weiterbildung mit der pädagogischen Qualifikation in Zusammenhang stehen: Wie viele Kurse muss ich besuchen, damit ich als «pädagogisch qualifiziert» gelte?
Das zentrale Stichwort ist hier die Nachholbildung (nach Artikel 32), die es nicht «pädagogisch qualifizierten» Mitarbeitenden ermöglicht, die Berufsausbildung (FaBeKin) in verkürzter Form berufsbegleitet nachzuholen und ein Validierungs- oder Qualifikationsverfahren einzuleiten. (Interessiert? Hier nachlesen im Bericht 1, Seite 10.)
Was ist die Rolle der PHs?
Einige PHs (wie auch die PHBern) bieten aktuell vor allem Weiterbildungsangebote oder Beratungen für Führungspersonen, Teams und einzelne Mitarbeitende an. Die Ausbildungen werden von privaten und öffentlichen Institutionen angeboten. Die Forscherinnen der Pädagogischen Hochschulen, die sich für dieses Forschungsprojekt zusammengetan haben, sehen sich insbesondere in der Rolle, die nationale Diskussion zu lancieren und die zentralen Aus- und Weiterbildungsinstitutionen miteinander in den Dialog zu bringen. Dies wurde im Rahmen des Forschungsprojekts erreicht, denn die nationale Tagung brachte die verschiedenen Aus- und Weiterbildungsanbieter zusammen in einen Raum. Die Diskussionen waren vielfältig, wie man im Impulspapier nachlesen kann. Einerseits braucht es eine Zusammenarbeit zwischen Schule und SET und eine klare Positionierung der SET im Bildungssystem. Andererseits sind sich die Expert*innen einig, dass Empfehlungen auf nationaler Ebene nicht ausreichen, sondern gemeinsame Grundlagen geschaffen werden müssen
Angebote zum Thema
Die PHBern bietet eine breite Palette an Angeboten für Tagesschulleitende und ihre Teams an.
Fussnoten:
[1] Tagesschulen im Kanton Bern: Zahlen und Fakten
[2] Tagesstrukturen im Kanton Basel Stadt: Zahlen und Fakten | Kanton Basel-Stadt
[3] Unterrichtsergänzende Betreuung im Kanton Zürich: Unterrichtsergänzende Betreuung 2022 | Kanton Zürich




