Wie die Schulleitungsausbildung der Professionsentwicklung gerecht wird – eine Zwischenbilanz in 5 Punkten
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Wichtige Aufgaben von Schulleitenden sind heute beispielsweise die Einführung und Umsetzung schulischer Inklusion als Teil der systemischen Organisationsentwicklung sowie die Digitalisierung, und dies unter dem Druck von Lehr- und Fachpersonenmangel. Das Berufsverständnis der Schulleitenden als Führungspersonen ist in einem ständigen Weiterentwicklungsprozess. Es richten sich «zunehmend höhere Erwartungen an die Führungspersonen an der Spitze der Schulen, die auch neue und andere Kompetenzen von ihnen erfordern» (Schratz und Wiesner, 2019).
Die PHBern hat im Auftrag der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern mit einer neuen Schulleitungsausbildung auf diese gesteigerten Anforderungen reagiert. Entstanden ist der Lehrgang DAS Schulen leiten, welcher im März 2022 erstmals startete. Die Ausbildung beruht auf einem neu entwickelten Kompetenzprofil für Schulleitende. Im Juni 2024 werde erstmals Diplome an Teilnehmende dieses Lehrgangs verliehen, welche die gesamte Ausbildung innerhalb von zwei Jahren absolviert haben. Grund genug, ein erstes Fazit zu ziehen und die neue Ausbildung mit Blick auf die Professionsentwicklung zu analysieren.
1. (Angehende) Schulleitende bringen unterschiedliche Profile mit
Der Zugang zu einer Anstellung als Schulleiter:in und damit auch zur Ausbildung war früher deutlich restriktiver. Nur wer bereits eine Schulleitungsanstellung hatte, konnte den Lehrgang besuchen. Mit der neuen Ausbildung wurde der Zugang geöffnet. Auch Lehrpersonen können zugelassen werden – oder Quereinsteigende, welche über einen Hochschulabschluss oder einen gleichwertigen Fachausweis oder ein eidgenössisches Diplom sowie Berufserfahrung verfügen.
Die Öffnung des Zugangs hat sich in verschiedenen Aspekten bemerkbar gemacht. Zunächst einmal sind die Anmeldezahlen deutlich gestiegen. Nach zwei Jahren sind mehr als 200 Teilnehmende in der Ausbildung unterwegs und 41 Teilnehmende haben bereits abgeschlossen. Weiter sind Hinter-grund und Praxisbezug deutlich diverser geworden. Im Studienjahr 2023/24 weisen nur noch 43% der Teilnehmenden bei Ausbildungsstart bereits eine Schulleitungsanstellung auf, 49% sind Lehrpersonen und 8% können der Gruppe der Quereinsteigenden zugerechnet werden. Diese Konstellation bietet Chancen und Anforderungen. Einerseits profitieren alle Teilnehmenden von der Vielfalt der Erfahrungen und Sichtweisen. Andererseits sind die Anforderungen an didaktische Differenzierungsmassnahmen sowie an die individuelle Begleitung gewachsen.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kompetenzbilanzierung, die obligatorisch vor Lehrgangsstart zu absolvieren ist. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie werden das vorhandene Potenzial und die eigenen Kompetenzen festgehalten sowie mit den Anforderungen an eine Schulleitung abgeglichen. Eine Besonderheit der Kompetenzbilanzierung ist der Aspekt, dass nicht nur auf die berufliche Biografie zurückgeblickt wird, sondern auch auf Erfahrungen aus weiteren Tätigkeiten, wie z.B. einem Ehrenamt oder der Familienarbeit. Damit geht die Analyse der eigenen Kompetenzen über ein lineares, berufliches Laufbahnentwicklungsverständnis hinaus. Auf dieser Grundlage können die Teilnehmenden ihre persönliche Eignung für eine Schulleitungsfunktion überprüfen und ihre Berufslaufbahn sowie ihre Ausbildung im Rahmen des DAS aktiv planen.
2. Die Abgangsprofile der Lehrgangsteilnehmer:innen sind heterogen
Die neue Schulleitungsausbildung ist stark individualisiert und flexibilisiert. Die Individualisierung zeigt sich darin, dass Pflichtmodule lediglich 11 von 30 ECTS-Punkten umfassen. Weitere Inhalte im Umfang von 19 ECTS-Punkten können aus einer grossen Auswahl von Wahlmodulen frei zusammengestellt werden. Von 23 Wahlmodulen werden 9 bis 11 besucht. Begleitet wird diese Wahl, wie wir gesehen haben, durch die Kompetenzbilanzierung, aber auch durch Empfehlungen bei jedem Wahlmodul, was als Praxisfeld erwartet wird. Die Individualisierung antwortet auf die grössere Heterogenität bei den Eingangsprofilen. Sie antwortet aber auch darauf, dass die Aufgaben von Schulleitenden, gerade im Kanton Bern, sich zum Teil stark unterscheiden. Während beispielsweise in einer Gemeinde die gesamte Personalverantwortung bei der Schulleitung liegt, kann das in einer anderen Gemeinde nur teilweise der Fall sein. Zudem kommt es zu unterschiedlichsten Formen und Aufgabenteilungen von Co-Leitungen. Anforderungen und Komplexitäten können sich auch aufgrund der Schulgrösse oder der Anzahl Schulstufen unterscheiden. So bildet neben dem eigenen Eingangsprofil auch das aktuelle oder kommende Aufgabenportfolio einen wichtigen Orientierungspunkt. Die Flexibilisierung wiederum zeigt sich darin, dass Lehrgangsstart und Lehrgangsabschluss halbjährlich möglich sind. Zudem können die Teilnehmenden die Studiendauer im Zeitraum von 2 – 4 Jahren selbst bestimmen. Dies ermöglicht eine optimale Vereinbarkeit der Ausbildung mit Familie und Beruf.
Es ist wichtig sich vor Augen zu halten, dass insbesondere die Individualisierung dazu führt, dass auch die Abgangsprofile der Teilnehmenden heterogen sind. Als Anstellungsbehörde von Schulleitenden lohnt es sich, nicht nur die Diplomurkunde anzuschauen, sondern auch das Begleitdokument, das sogenannte «Diploma Supplement». Ihm kann entnommen werden, welche Wahlmodule der/die Bewerber:in besucht hat. Es lohnt sich zu überprüfen, inwiefern das zum Profil der eigenen Schulleitungsstelle passt.
3. Die Ausbildung ist Bestandteil eines grösseren «Baukastens»
Schweizweit sind Bestrebungen im Gange, eine gestufte Schulleitungsausbildung zu fordern, welche neue Laufbahnoptionen für Lehrpersonen und Schulleitende ermöglicht. Es ist angedacht, dass der DAS-Abschluss eine Grundbefähigung als Schulleiter:in darstellt, die möglichst vielen Interessierten offensteht und dann zu einem funktionsbegleitenden MAS weitergeführt werden kann.
Entsprechend ermöglicht das Berner Ausbildungsmodell eine Fortsetzung der Ausbildung. Ab 2025 können DAS-Absolvent:innen ihre Ausbildung im Rahmen eines MAS weiterführen. Die MAS-Stufe ermöglicht dann funktionsbegleitend eine weitere Professionalisierung mit einer Vertiefung und Erweiterung des eigenen Profils. Damit qualifiziert sie für komplexe Schulleitungsaufgaben mit breitem Verantwortungsbereich sowie für Funktionen an der Schnittstelle von Schulen und Verwaltung (z.B. Leitende Bildung).
Dabei wird es sowohl möglich sein, weitere Wahlmodule aus dem DAS-Programm zu besuchen als auch eigens entwickelte MAS-Module.
4. Die neue Ausbildung wird EDK-anerkannt
Bei den bisherigen Ausbildungen hat der Kanton Bern kein Gesuch um EDK-Anerkennung gestellt. Das ändert sich mit der neuen Ausbildung. Nachdem nun die ersten Abschlussarbeiten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorliegen, kann ein vollständiges Dossier bei der EDK eingereicht werden, um den DAS Schulen leiten der PHBern schweizweit anerkennen zu lassen. Damit wird die Attraktivität der Ausbildung für ausserkantonale Schulleitende weiter gestärkt und die Mobilität der Abgänger:innen wird verbessert.
Parallel dazu laufen auf schweizerischer Ebene Bemühungen, das EDK-Profil für Zusatzausbildungen Schulleitung vom 29. Oktober 2009, das die Grundlage des Anerkennungsverfahrens darstellt, zu überarbeiten. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das in die Jahre gekommene Profil neuen Entwicklungen wie Inklusion, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Agilität usw. nicht Rechnung trägt und von seinen Anforderungen her auch nicht mehr den gewachsenen Anforderungen an Schulleitende gerecht wird. Die neue Ausbildung zum DAS Schulen leiten und die sich in Planung befindliche Weiterführung zum MAS antizipieren bereits eine aktualisierte Anerkennungsgrundlage.
5. Die bisherigen Erfahrungen mit der Ausbildung sind positiv
Eine erste Bilanz, welche sich auf die systematische Evaluation der Wahlmodule sowie der individuellen Standortbestimmungsgespräche mit den Teilnehmenden stützt, ist äusserst erfreulich. 96% der Befragten von Wahlmodulen haben insgesamt einen positiven Eindruck der neuen Ausbildung und konnten davon profitieren (92%).
Die Zusammenstellung der Protokolle aller Standortbestimmungsgespräche zeigt folgendes Bild:
Die Teilnehmenden antworten auf die Frage, wie sie im Lehrgang unterwegs sind (Vereinbarkeit Beruf und Ausbildung, Vorankommen im Lehrgang), auf einer Skala von 0 – 10 mit einem Durchschnittwert von 8. Zudem haben fast alle Teilnehmende, welche zu Beginn der Ausbildung der Gruppe der Lehrpersonen oder der Quereinsteigenden angehört haben, im Verlaufe der Ausbildung eine Schulleitungs-Anstellung angenommen, was sehr erfreulich ist.
Grundsätzlich wird der Lehrgang also positiv bewertet, insbesondere, dass er Spass macht und inspiriert. Als wertvolle Aspekte werden der Austausch und der Aufbau eines Netzwerks, der inhaltliche Gewinn einzelner Module, die Coaching-Gruppen, die Vereinbarkeit von Ausbildung, Beruf und Privatleben sowie die Unterstützung und das Engagement der Dozierenden und der Studienleitung hervorgehoben. Einzelne vermissen eine feste Kursgruppe während der ganzen Ausbildung, wünschten sich mehr Präsenzunterricht und kritisieren die Öffnung des Lehrgangs für Personen ohne Schulleitungsfunktion.
Als Studienleitende freuen uns das hohe Interesse an der Ausbildung und die positiven Rückmeldungen. Mit der neuen Ausrichtung wird der DAS den steigenden Anforderungen an das Kompetenzprofil einer Schulleitung gerecht. Gleichzeitig nehmen wir auch einige herausfordernde Erfahrungen aus dieser Startphase des Lehrgangs mit: Die starke Individualisierung der Ausbildung hat zu einer Komplexitätssteigerung mit entsprechenden administrativ-organisatorischen Anforderungen geführt. Insgesamt gelingt es, ein gutes Gleichgewicht von Pflichtmodulen, welche ein stabiles Netzwerk in einer festen Gruppe aufbauen lassen, und Wahlmodulen, welche viele inhaltliche Freiheiten bieten, herzustellen.
Wir sind überzeugt, dass das in einem Schulleitungsprofil verankerte individualisierte und flexibilisierte Berner «Baukasten-Modell», mit einem DAS und MAS-Lehrgang eine angemessene Antwort auf die dynamische Professionsentwicklung von Schulleitungen darstellt. Die Absolvierenden werden sicher wesentlich dazu beitragen, die Schule der Zukunft aktiv zu gestalten.
DAS Schulen leiten
Der Lehrgang DAS Schulen leiten qualifiziert für die strategische und operative Führung und Leitung von Bildungsinstitutionen, insbesondere der obligatorischen Schule oder der Sekundarstufe II. Er richtet sich an amtierende Schulleitende sowie an Lehrpersonen und Quereinsteigende, welche sich für Führungsaufgaben an Schulen interessieren.
Mehr Informationen zum Lehrgang
Capaul, R., Seitz, H. & Keller, M. (2020). Schulführung und Schulentwicklung: Theoretische Grundlagen und Empfehlungen für die Praxis (4., erweiterte und aktualisierte Auflage). Haupt Verlag.
EDK [Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren]. (2009): Profil für Zusatzausbildungen Schulleitung vom 29. Oktober 2009. https://www.edk.ch/de/themen/diplomanerkennung/hochschuldiplome
Erbring, S. (2016). Einführung in die inklusive Schulentwicklung. Heidelberg: Carl-Auer.
European Commission, Directorate-General for Education, Youth, Sport and Culture. (2020). Supporting teacher and school leader careers – A policy guide – Summary. https://data.europa.eu/doi/10.2766/7854
Hostettler, U. & Windlinger, R. (2020). Schulleitung – Profession und Forschung. In: H. Hofmann, P. Hellmüller und U. Hostettler (Hrsg.): Eine Schule leiten. Grundlagen und Praxis. (2. Auflage, S. 12 – 24). Bern: hep.
PHBern (2023). Kompetenzprofil für Schulleitende. https://www.phbern.ch/sites/default/files/2024-04/kompetenzprofil-schulleitende-iwd.pdf
Schratz, M. & Wiesner, C. (2019). Pädagogische Führung – Kompetenzprofil und Kompetenzentwicklung von Schulleiterinnen und Schulleitern. https://www.researchgate.net/publication/337890129
Tulowitzki, P., Pietsch, M., & Sposato, G. G. (2023). Schulleitungsmonitor Schweiz 2022 – Befunde zu Weiterbildung und Professionalisierung. Pädagogische Hochschule FHNW. http://dx.doi.org/10.26041/fhnw-4886