Die Welt als Schule: der Wert ausserschulischer Lernorte

Als Lehrpersonen tragen wir oft die Welt in unsere Klassenzimmer, aber eigentlich steht uns die ganze Welt als Klassenzimmer offen.

Dieser Blogbeitrag entstand in Zusammenarbeit mit Judith Gasser und Janosch Hugi. 

Als Lehrpersonen bringen wir oft die Welt in unsere Klassenzimmer. Im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) ist es selbstverständlich, Bezüge zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler zu schaffen – oder, wie diese es oft ausdrücken: „zur echten Welt“. Solche Lebensweltbezüge oder die Integration des Lernstoffs in die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler finden natürlich auch in allen anderen Fächern statt. Manchmal erscheinen diese Bezüge jedoch etwas erzwungen, als ob wir „eine gefilterte Welt in die Schule tragen“. Dabei gibt es draussen eine ganze Welt, die sich durch ihr unmittelbare Erfahrbarkeit auszeichnet. Indem wir es den Lernenden ermöglichen, selbst nach draussen zu gehen und diese „echte Welt“ hautnah und ungefiltert zu erleben, schaffen wir vertiefte Lernerfahrungen und unvergessliche Momente.

Von Monstern, Abenteuern und Gipfelstürmer*innen

Oft ist es im Rahmen des ausserschulischen Lernens möglich, Situationen zu schaffen, die die Schülerinnen und Schüler auf vielfältige Weise herausfordern und in denen sie über sich hinauswachsen können.

  • Zuhause werden die Kinder empört – und stolz – erzählen, wie sie mit
    blossen Händen im Schlamm des Tümpels wühlten und plötzlich ein „Vieh“ unter einem umgedrehten Stein hervorschoss. Dieses „Vieh“ sah unter dem Mikroskop aus wie ein echtes Monster! Und daraus soll eine wundervolle Libelle werden?
  • „Bäh, das stinkt!“, rufen sich die Jugendlichen zu, als sie durch die Kläranlage geführt werden. Mit Staunen erfahren sie später, dass am Ende des Klärprozesses Strom, Wärme, Dünger und sauberes Wasser entstehen. „Hier stinkt es ja gar nicht mehr und da schwimmen Fische und Enten!“ Plötzlich wird ihnen die Bedeutung von Trennverfahren auf ganz neue Weise bewusst.
  • Als die Klasse den Münsterturm erklommen hat und auch der Schüler mit Höhenangst dank der Unterstützung der Klasse den Aufstieg geschafft hat, sind alle stolz. Wie am Münster geschrieben steht: „Mach’s na!“ Durch das Erleben der Lerninhalte an einem ausserschulischen Lernort bleiben starke Eindrücken, was dazu beiträgt, dass der Bildersturm, die Städteentwicklung und die „fast 100 Meter“ im Gedächtnis bleiben.

Ausserschulische Lernorte kombinieren erlebnisorientiertes Lernen mit informellem und selbstgesteuertem Lernen auf vielfältige Art und Weise (Freericks & Brinkmann, 2020) und bieten die Möglichkeit einer direkten Auseinandersetzung mit Sachverhalten. Die positiven Auswirkungen solcher unmittelbaren Begegnungen sind weitgehend anerkannt (Brovelli, von Niederhäusern, & Wilhelm, 2017). Ein entscheidender Faktor für den Erfolg solcher Lernorte liegt jedoch nicht nur in der Qualität der direkten Erfahrungen, sondern auch in einer sorgfältigen Vor- und Nachbereitung sowie der Integration in ein didaktisches Konzept, das die Erlebnisse und Inhalte umfassend einbettet (Wilhelm & Kalcsics, 2017).

„Dazu habe ich aber gar keine Zeit!“

Jetzt denken Sie vielleicht: „Ich bin mit meinem turbulenten Schulalltag schon genug absorbiert, mir fehlt die Zeit und die Energie, einen Ausflug zu planen und die ausserschulischen Lernorte zu erkunden“.  Ja, es gibt viel zu tun, aber wie zwei Kalenderspruch-Weisheiten es auf den Punkt bringen:

 

  1. Es muss nicht perfekt sein!
  2. Du musst nicht das Rad neu erfinden.

 

Es ist erstens besser, einfach mal rauszugehen und etwas auszuprobieren, als es nicht zu wagen. Die frische Luft – der frische Wind – tut letztlich allen gut. Zweitens gibt es tolle, bereits didaktisch aufbereitete Angebote, die wir nutzen können. Auch zur Vor- und Nachbereitung im Klassenzimmer gibt es gute Ideen, wie zum Beispiel die Ideensets der PHBern. Drittens begegnen wir Draussen Neuem, Überraschendem, „arbeiten“ immer auch auf der Beziehungsebene und verknüpfen Lernen mit gemeinsamen Erlebnissen und positiven Emotionen

Landschaftspflege (Bild von Stiftung UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch

Zwei Angebote mit spezifischen Kursen für Lehrpersonen

Es gibt eine Vielzahl von Angeboten an ausserschulischen Lernorten, zwei heben wir hier besonders hervor. Beide sind für Schulen im Kanton Bern gut erreichbar und bieten ein sehr breites, gehaltvolles Bildungsangebot, das viele Anknüpfungspunkte an Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und NMG bereithält.

  •  Freilichtmuseum Ballenberg: Dort wird Nachhaltigkeit durch Expert*innen aktiv vermittelt und kann von der ganzen Klasse erlebt werden unter anderem durch das Einbeziehen von historischen Gebäuden in den Unterricht, durch Upcycling-Workshops und gemeinsame Koch- sowie Theateraktivitäten.
  • UNESCO-Weltnaturerbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch (SAJA): Hier können die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung von Natur, Mensch und Umwelt im Alpenraum im Kontext der Nachhaltigkeit durch geführte Wanderungen und den Besuch im interaktiven World Nature Forum direkt erleben. Der Klimawandel ist dabei ein übergeordnetes Thema, das die Jugendlichen durch eine Nachhaltigkeitswoche besser verstehen lernen.

In Zusammenarbeit mit dem Institut für Weiterbildungen und Dienstleistungen der PHBern bieten das Freilichtmuseum Ballenberg (FLM) und UNESCO-Weltnaturerbe Schweizer Alpen Jungfra-Aletsch (SAJA) zusammen eine Einführung in die Welt der ausserschulischen Lernorte an. Dabei lernen die Teilnehmenden aktuelle diaktische Grundlagen von BNE kennen und können ein Methodenrepertoire fürs Draussen Unterrichten mitnehmen, das sich einfach auf andere Inhalte und Orte übertragen lässt.

Anmeldungen für die Exkursion ins FLM und ins SAJA sind bis 20. Juli 2024 möglich.

Exkursion zum Aletschgletscher (Bild von Stiftung UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch)
  • Freericks, R., & Brinkmann, D. (2020). Didaktische Modelle für außerschulische Lernorte. In L. Beyer, C. Gorr, C. Kather, M. Komorek, P. Röben, & S. Selle (Hrsg.), Orte und Prozesse außerschulischen Lernens erforschen und weiterentwickeln: Tagungsband zur 6. Tagung Außerschulische Lernorte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (S. 29-31). Münster: LIT Verlag.
  • Brovelli, D., von Niederhäusern, R., & Wilhelm, M. (2017). Außerschulische Lernorte in der Lehrpersonenbildung – Theorie, Empirie und Umsetzung an der PHZ Luzern. Beiträge zur Lehrerbildung, 29(3), 342-352.
  • Wilhelm, M., & Kalcsics, K. (2017). Lernwelten: Natur – Mensch – Gesellschaft. Bern: Schulverlag plus.
  • Titelbild: Stiftung UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch
Der Beitrag gibt die Sicht der Autorin bzw. des Autors wieder.
Yves Mühlematter ist Dozent am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der PHBern.

Judith Gasser ist Dozentin am Institut Sekundardstufe I der Pädagogischen Hochschule PHBern.

Janosch Hugi ist Leiter Bildung, Vernetzung und Vermittlung bei der Stiftung UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Junfrau Aletsch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Artikel

Mit Schüler*innen über Nemo sprechen

Nemo mischt mit „the code“ ganz vorne mit in der Entscheidung um den Sieg im diesjährigen Eurovision Songcontest. Das Bieler Gesangstalent lädt uns dazu ein, im Klassenzimmer eine inklusive Sprache zu pflegen.

Bildung und Betreuung verbinden: Erkenntnisse aus dem Austauschprojekt Bern und Malmö

In den Schulen ist es wichtig, dass Lehrkräfte und Betreuungspersonen zusammenarbeiten. Dies wurde im Rahmen des Austauschprojekts mit Schweden deutlich.

Was Weiterbildungen mit Netzwerken verbindet

Weiterbildungen fördern nicht nur den Erwerb von Kompetenzen, auch für die Knüpfung von beruflichen Beziehungen sind sie von unschätzbarem Wert.

Ähnlicher Artikel

Mit Schüler*innen über Nemo sprechen

Nemo mischt mit „the code“ ganz vorne mit in der Entscheidung um den Sieg im diesjährigen Eurovision Songcontest. Das Bieler Gesangstalent lädt uns dazu ein, im Klassenzimmer eine inklusive Sprache zu pflegen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert