Zehnjähriges Jubiläum der Tagesschule
Im Kanton Bern muss jede Gemeinde eine Tagesschule eröffnen, wenn mindestens 10 Kinder angemeldet sind (Regierungsrat des Kantons Bern). Heute führen laut den aktuellen Zahlen der BKD 168 von 337 Gemeinden im Kanton Bern ein solches Angebot . 90 Prozent der Schüler*innen haben Zugang zu einem Teil- oder Vollzeitangebot. Tagesschulen sind freiwillige und modulartig aufgebaute Betreuungsmöglichkeiten, die von den Eltern individuell gebucht werden.
Stellen sie sich nun folgendes Szenario vor:
Sie sind als Leitung einer Tagesschule in einer Agglomerationsgemeinde tätig, die seit rund zehn Jahren besteht. Ihre langjährigen Mitarbeiterinnen haben sich gut eingespielt und können ihr Know-How im Umgang mit den Schüler*innen gut an Neue im Team weitergeben. Jedoch steigen die Anmeldezahlen jedes Jahr sehr kurzfristig und der Raum – vor allem fürs Mittagessen – wird langsam knapp. Deshalb steht ein Umzug an. Es wurden Räumlichkeiten auf dem Schulareal renoviert. Bezugsbereit per nächstes Schuljahr. Die Küche hat einen Plättliboden aus heiklem Material, es fehlt eine Gastro-Küche, und einen direkten Zugang zum Aussenbereich gibt es auch nicht…
«Es wird schon gehen, das können wir organisieren…!».
So oder ähnlich tönt es aus vielen Tagesschulen in den Beratungen und Kursen an der PHBern. Aber verschaffen wir uns zuerst einen Überblick über die Entwicklung der Tagesschulen im Kanton Bern:
Infrastruktur
In ihren Anfängen, um 2012, waren viele Tagesschulen in zweckmässig eingerichteten Räumen oder Übergangslösungen angesiedelt, oft auf dem Schulareal oder in unmittelbarer Nähe der Schule. Vielerorts konnte der pädagogische Wert des Raumes und der Einrichtung noch nicht berücksichtigt werden. Heute trifft man bei Neubauten von Tagesschulen viele bewusst gestaltete, tolle Räumlichkeiten an. Der pädagogische Wert des Raumes wird anerkannt: dazu gehören Rückzugsmöglichkeiten, pflegeleichte Materialien auf denen gerannt und gespielt werden darf.
Dennoch kommen viele Tagesschulen an ihre Kapazitätsgrenzen – insbesondere am Mittag (Cuvit, 2018). Diese Expansion der Betreuungsangebote aufgrund der hohen Nachfrage hatte an manchen Orten einen überstürzten Ausbau zur Folge.
Professionalisierung der Mitarbeitenden
Aber nicht nur an der Infrastruktur wird sichtbar, wie sehr sich das pädagogische Arbeitsfeld der Tagesschulen in den letzten zehn Jahren verändert hat. Auch hinsichtlich der Professionalisierung der Mitarbeitenden wurden viele Fortschritte erzielt. Zum Beispiel werden die Kurse «Betreuen in Tagesschulen» der PHBern rege genutzt. Professionalisierung im Bereich der Tagesschulen meint nicht unbedingt die Anstellung von Personen mit Universitäts-Abschluss, sondern eher von Personen, die für die direkte Arbeit mit Kindern geeignet sind und Erfahrungen mitbringen: seien dies Fachpersonen Betreuung, Sozialpädagog*innen, Sozialarbeitende und Betreuungspersonen mit anderen beruflichen Hintergründen. Die Tagesschule braucht selbstständig und kreativ denkende Mitarbeitende mit einem guten Flair im Umgang mit den Kindern. Diese können sich das tagesschulspezifische Wissen – zum Beispiel zu Gruppenleitung, entwicklungs- oder verhaltenspsychologische Grundlagen, Umgang mit Regeln und Ritualen – auch in Angeboten der Erwachsenenbildung aneignen.
Herausforderungen
Trotz dieser beiden positiven Entwicklungen stellen wir Beratungspersonen der PHBern in unserem Alltag fest, dass viele Tagesschulen wieder mit altbekannten Herausforderungen des fehlenden und nicht geeigneten Raumes oder der unzureichenden strukturellen und ideellen Unterstützung von Seite der Schule oder der Gemeinde konfrontiert sind. Denn vielerorts hat sich die wünschenswerte Zusammenarbeit mit der Schule und Gemeinde nur wenig verbessert. Leider verpassen wir dadurch die Chance, die Schüler*innen ganzheitlicher und mit gemeinsamen Zielen zur unterstützen. Tagesschulen sind oft eigenständige und unabhängige Teams, die sich um die Freizeitgestaltung und weniger um unterrichtliche Inhalte kümmern (Jutzi 2020).
Gleichzeitig sind Leitungspersonen von Tagesschulen, Schulleitende und Bildungsbehörden sehr gefordert mit der Aufgabe, eine konkrete Vision, Zielsetzung und Ausrichtung des Betreuungsangebots zu definieren. Denn weder gibt es verbindliche Vorgaben zum Angebot der Tagesschulen noch Qualitätsrichtlinien oder eine entsprechende Evaluation.
Ein Wendepunkt ist erreicht: Es braucht neue Lösungen für altbekannte Probleme.
Für die Weiterentwicklung der Tagesschulen und die Unterstützung von Professionalität und Professionalisierung gilt es anzuerkennen, welchen zentralen Beitrag sie für das Funktionieren unserer Gesellschaft leisten (Jutzi und Stampfli 2021; Jutzi et al. 2020). Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, noch einmal grundsätzlich zu überlegen, welche Ziele die Tagesschulen im Kanton Bern verfolgen sollen.
Für diese Diskussion und Weiterentwicklung erweitert das Beratungsteam der PHBern den Dialog mit einem Blick in das erfolgreiche PISA-Land Schweden. Dort gibt es seit Jahren einen Lehrplan für die Betreuung und die Mitarbeitenden werden ebenfalls als «Teachers» angesprochen (Fischer et al. 2022). Zudem veranstaltet die PHBern die jährliche Tagung SA MOVE, die dieses Jahr mit dem Thema «Musterbrechen» neue Erfahrungshorizonte und Gestaltungsräume eröffnen will.
Literatur
- Erziehungsdirektion des Kantons Bern (ERZ) (2018): Tagesschulen im Kanton Bern. Reporting Schuljahr 2016/17, zuletzt geprüft am 18.04.2019.
- Fischer, Natalie; Elvstrand, Helene; Stahl, Lea (2022): Promoting quality of extended education at primary schools in Sweden and Germany: A comparison of guidelines and children’s perspectives. In: ZfG. DOI: 10.1007/s42278-022-00148-9.
- Jutzi, Michelle (2020): Zwischen Schul- und Freizeitpädagogik. Die Positionierung von Tagesschulen. Bern: hep.
- Jutzi, Michelle; Brunner, Ursula Elisabeth; Gebert, Helen (2020): Tagesschulen im Lockdown. Aktuelle Forschungsergebnisse. Hg. v. PHBern Institut für Weiterbildung und Medienbildung. PHBern Institut für Weiterbildung und Medienbildung. Bern. Online verfügbar unter https://edudoc.ch/record/217915.
- Jutzi, Michelle; Stampfli, Barbara (2021): Schulhaus geschlossen – Lernen aus dem Fernunterricht. In: Bildung Schweiz (7/8), S. 32–33. Regierungsrat des Kantons Bern: Tagesschulverordnung vom 28.05.2008. TSV, vom 01.01.202
Dieser Blogbeitrag entstand in Zusammenarbeit mit Helen Gebert, Dozentin und Beraterin, Institut für Weiterbildungen und Diensleistungen der PHBern.
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Sehr interessant