Mit Schüler*innen über Nemo sprechen

Nemo mischt mit „the code“ ganz vorne mit in der Entscheidung um den Sieg im diesjährigen Eurovision Songcontest. Das Bieler Gesangstalent lädt uns dazu ein, im Klassenzimmer eine inklusive Sprache zu pflegen.

Dieser Blogbeitrag entstand in Zusammenarbeit mit Nour Elio Klemm.

Nemo hat sich im letzten November als nichtbinäre Person geoutet und auf Instagram geschrieben: «Ich identifiziere mich nicht als Mann oder Frau. Ich bin nur Nemo.» Nemo ergänzt auch gleich, was they sich unter «Gender» genauer vorstellt: «Ich liebe es, Geschlecht als eine Galaxie zu sehen und mich als kleinen Stern irgendwo schwebend darin». Im gleichen Post war auch zu lesen, dass Nemo die Pronomen they/them benutzt oder insbesondere im Deutschen keine Pronomen. Auch wenn in unseren Schulhäusern sich die Schüler*innen beim Umziehen zum Sport oder dem Besuch der Toilette leider noch immer zwischen «Mann» oder «Frau» entscheiden müssen, so können wir Lehrer*innen mit einer inklusiven Sprache alle miteinschliessen, die sich nicht in dieses binäre Geschlechtermodell einordnen wollen. Nemo lädt uns ein, den Raum dazwischen und darüber hinaus zu erkunden.

Foto von Tim Mossholder auf Unsplash

Schüler*innen und Spiegeleier

Im Schulalltag hilft es oft schon, wenn wir beim Schreiben «Lehrer*innen» und «Schüler*innen» verwenden oder geschlechtsneutrale Umschreibungen wie «die Lernenden» oder die «Lehrpersonen» benutzen. Der Genderstern zeigt an, dass auch alle Menschen zwischen den Polaritäten «Mann» und «Frau» explizit angesprochen sind. Manche Menschen monieren, schriftlich ginge das ja noch, aber mündlich sei das viel zu umständlich. Eigentlich ist aber auch das leicht, wenn mensch denn will: Beim Sprechen wird der Genderstern mit einem sogenannten Glottisschlag angezeigt, einer ganz kleinen Lücke zwischen der männlichen und der weiblichen Form: Lehrer(…)in. Willige können das ganz einfach üben mit «Spiegelei», einem Wort, in dem der Glottisschlag bereits drinsteckt und uns allen auch ganz leicht über die Lippen kommt. Einmal den Weg vom Klassenzimmer zum Lehrer*innenzimmer zurücklegen und dabei laut «Spiegeleier, Spiegeleier, Spiegeleier» vor sich hersagen – und plötzlich sind Schüler*innen, Lehrer*innen oder Schulleiter*innen auch in vollem Redefluss ganz einfach auszusprechen. Das kann im Klassenzimmer als inklusive Sprachregelung gemeinsam abgemacht und praktiziert werden, denn eine gendergerechte Sprache ist lediglich Übungssache.

Warum ist das wichtig? Laut einem Bericht der Nationalen Ethikkommission ist davon auszugehen, dass in der Schweiz 100’000 bis 150’000 Menschen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentität leben (Bericht der Nationalen Ethikkommission, 2020). Eine weitere Studie im Auftrag des Bundes zeigt, dass es um die Gesundheit, insbesondere die psychische Gesundheit, der LGBTQI+ Personen in der Schweiz deutlich schlechter steht als um die Gesundheit der übrigen Schweizer Bevölkerung. Uns Lehrpersonen sollte es deshalb ein Anliegen sein, möglichst diskriminierungsarme und inklusive Lernsituationen zu bieten.

They, hen oder xier

Wenn wir nun über einen nichtbinären Menschen wie Nemo sprechen und dabei Pronomen benutzen wollen, ist das nicht sonderlich kompliziert. Manche nichtbinäre Menschen benutzen die Pronomen «sie» und «er» und sind deswegen nicht weniger nonbinär. Selten benutzen nichtbinäre Menschen auch das Pronomen «es», obwohl «es» auch von kritischen, transfeindlichen Kreisen häufig mit abwertendem Beigeschmack verwendet wird. In anderen Sprachen gibt es etablierte geschlechtsneutrale Pronomen, etwa «they» im Englischen oder «hen» im Schwedischen. Manche Sprachen kennen keine gegenderten Pronomen (Finnisch) oder verwenden keine Pronomen (Mandarin) oder es hat sich bereits ein Neopronomen etabliert, wie im Französischen mit «iel». Im Deutschen hat sich noch keine Variante fix durchsetzen können, manche nonbinäre Menschen benutzen das Englische «they» oder sogenannte Neopronomen wie dey, em, en, nin, sier oder xier.

Pronomen sieht man nie

Das tönt kompliziert, ist es aber nicht. Die Regel ist einfach: Da wir anderen Menschen ihre Pronomen nicht ansehen können, müssen wir danach fragen. Noch einfacher wäre es, wenn wir alle jeweils unsere Pronomen gleich nennen würden, z.B. bei Vorstellungsrunden oder in der E-Mail-Signatur, so kann das Teilen der Pronomen normalisiert werden. Denn nur die Menschen nach ihren Pronomen zu fragen, bei denen wir nicht sicher sind, kann sehr unangenehm sein und sogar zu unfreiwilligen Outings führen. Ausserdem ist auch dies eine Form der Diskriminierung, auch «Othering» genannt.

Foto von Alexander Greay auf Unsplash

So geht's

Zurück zu Nemo. Nemo schreibt, dass Nemo keine Pronomen oder dann die Pronomen they/them hat. Beim Schreiben und Sprechen benutzen wir also den Namen: «Nemo hat den ESC gewonnen. Nemo hat den Song «the code» live gesungen. Nemos Musikstile reichen von Rap über Pop bis zu Drum&Bass und Oper.» Anstelle des Namens können wir Umschreibungen benutzen wie «das Bieler Gesangstalent» oder «Die Person mit dem rosa Oberteil und dem weissen Rock». Wenn Pronomen unumgänglich sind, dann wäre der Einsatz von they/them bei Nemo richtig: «Nemo hat den Durchbruch mit Rap und Pop geschafft. They brilliert aber auch in anderen Musikstilen, denn their gesangliche Fähigkeiten reichen weit darüber hinaus.» Mit allen anderen Pronomen funktioniert das nun genau gleich, wie mit den they/them Pronomen. Da es im Deutschen bisher keine sprachliche Lösung gibt, erfinden nonbinäre und trans* Personen Pronomen, die ihnen persönlich gefallen.

Nemos Teilnahme am ESC ist eine wunderbare Gelegenheit für uns Lehrpersonen, im Schulzimmer mit einer inklusiven Sprache längst fällige Möglichkeitsräume zu öffnen und damit die nichtbinären Kinder in unserem Umfeld zu schützen. Der Lehrplan21 gibt uns einen klaren Auftrag dazu. So steht in den AHB etwa: «Deshalb sollen Lehrpersonen bereits im 1. Zyklus Geschlechteridentitäten aufzeigen, die frei von Wertungen und Urteilen sind.»

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Der Beitrag gibt die Sicht der Autorin bzw. des Autors wieder.
Stephan Wehrli ist Dozent und Berater am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der Pädagogischen Hochschule PHBern.

Nour Elio Klemm studiert am Institut Sekundarstufe I der Pädagogischen Hochschule PHBern.

2 Antworten

  1. Es gibt schon eine ganz einfache, althergebrachte Möglichkeit, alle Geschlechter abzubilden: Das generische Maskulinum. Sieht vielleicht „männlich“ aus, meint aber per Definition alle, egal, ob binär, nicht binär, Mann, Frau, nichts davon oder irgendetwas dazwischen. Grammatischer Genus ist nicht gleich Sexus und auch nicht Gender. Würde man sich darauf mal endlich wieder besinnen, müsste man keine langatmigen, Zeit und Mühe fressenden, Diskussionen über das richtige Gendern mehr führen.

    Und falls Sie mir jetzt LGBTI-Feindlichkeit vorwerfen wollen: Ich bin transsexuell. Trotzdem brauche ich keine Gendersternchen oder Doppelpunkte, die übrigens ausländischen Sprachschülern das Lernen der Sprache sehr erschweren und die auch Vorleseprogramme für Sehbehinderte nicht richtig erfassen können, was den gesamten Text deutlich schwieriger verständlich macht. Es ist also gewissermaßen inklusionsfeindlich.

    Die Notwendigkeit eines neutralen Pronomens für Fälle, in denen es nicht um männlich oder weiblich geht (also quasi ein Äquivalent zum englischsprachigen „they“), sehe ich übrigens durchaus.

    Mit Schülern besprochen werden sollte aber hoffentlich auch, dass die Identifikation als weder Mann noch Frau in Ordnung ist (als Transsexueller gehe ich stark davon aus, dass das Geschlecht, als welches man sich empfindet, neurologisch angelegt ist), man sich da aber nicht nach sozialen Klischees richten sollte. Ein körperlich männlicher Mensch ist nicht automatisch kein Mann, bloß weil er sich gerne schminkt, ein körperlich weiblicher Mensch ist nicht automatisch „nonbinary“, bloß weil er als Kind sowohl mit Puppen als mit Autos spielen wollte. Leider liest man genau diese Begründung noch viel zu oft in Zeitungsartikeln zum Thema. Der Glaube, das Geschlecht oder Gender einer Person sei abhängig davon, welchen Klischeevorstellungen sie lieber anhängt, ist rückschrittlich, denn er verfestigt die Klischees lediglich. Das ist schädlich für alle Menschen, weil es sie einengt. Das Denken, ein Mann (egal, ob cis oder trans) sei, wenn er sich gerne bunt kleidet oder Röcke anzieht, „nonbinary“ (also quasi „kein Mann“) ist doch im Grunde völlig von gestern.

  2. Vielen Dank für diesen tollen Blogbeitrag. Das „Spiegeleier“-Beispiel illustriert super einfach und konkret, was mit dem Glottischlag gemeint ist – werde ich sicher selbst noch ein paar mal nutzen. 😉
    Ich habe noch zwei Tipps/Learnings, die ich an dieser Stelle gerne teilen möchte:

    – Ein Instrument, dass ich oft und gerne nutze, um passende geschlechtsneutrale Formulierungen zu finden ist der „Genderator“: dort kann ich ein Wort eingeben und erhaltete mehrere geschlechtsneutrale Alternativformulierungen. Hier der Link: https://www.genderator.app/wb/index.aspx
    – Als Anrede bei E-Mails und/oder Briefen ist „Hallo Vorname Nachname“ oder „Guten Tag Vorname Nachname“ eine praktische Alternative zum binären „sehr geehrter Herr Nachname“ / „sehr geehrte Frau Nachname“.

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    Mit Schülern besprochen werden sollte aber hoffentlich auch, dass die Identifikation als weder Mann noch Frau in Ordnung ist (als Transsexueller gehe ich stark davon aus, dass das Geschlecht, als welches man sich empfindet, neurologisch angelegt ist), man sich da aber nicht nach sozialen Klischees richten sollte. Ein körperlich männlicher Mensch ist nicht automatisch kein Mann, bloß weil er sich gerne schminkt, ein körperlich weiblicher Mensch ist nicht automatisch „nonbinary“, bloß weil er als Kind sowohl mit Puppen als mit Autos spielen wollte. Leider liest man genau diese Begründung noch viel zu oft in Zeitungsartikeln zum Thema. Der Glaube, das Geschlecht oder Gender einer Person sei abhängig davon, welchen Klischeevorstellungen sie lieber anhängt, ist rückschrittlich, denn er verfestigt die Klischees lediglich. Das ist schädlich für alle Menschen, weil es sie einengt. Das Denken, ein Mann (egal, ob cis oder trans) sei, wenn er sich gerne bunt kleidet oder Röcke anzieht, „nonbinary“ (also quasi „kein Mann“) ist doch im Grunde völlig von gestern.

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    – Als Anrede bei E-Mails und/oder Briefen ist „Hallo Vorname Nachname“ oder „Guten Tag Vorname Nachname“ eine praktische Alternative zum binären „sehr geehrter Herr Nachname“ / „sehr geehrte Frau Nachname“.

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