Zwischen Liedauswahl und Mitbestimmung – Demokratiepädagogik im Musikunterricht
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Unter Alltagsdemokratie verstehen wir die kulturelle Praxis des Dazugehörens, Mitwirkens und Anerkennens im schulischen Alltag. Der Musikunterricht kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten, wenn er Räume für Teilhabe schafft, vielfältige Perspektiven zulässt und gemeinschaftliches Handeln einübt (vgl. Gimaletdinow, 2020).
Welche demokratischen Strukturen können vermehrt in der gelebten Schulkultur gestärkt werden? Hier bietet es sich an, Bereiche wie Mitbestimmungsmöglichkeiten und Projektarbeit auszubauen. Wenn Schüler:innen bei der Themenfindung von Musikprojekten mitwirken, über (ihre) Musik sprechen und musikalische Ausdrucksformen wählen dürfen, wird Partizipation konkret erlebt und erprobt.
Von demokratischen Werten getragenes Handeln zeigt sich sowohl bei Lehrkräften als bei bei Schüler:innen jeden Tag im Unterricht: “Democracy is not something you have, but something you do. It is a verb. And we are creating it, or un-creating it, all the time.” (Marshall Ganz). Wird von der Lehrkraft vorurteilsfreies, respektvolles Sprechen über Musik, das andere Musikvorlieben als gleichwertig akzeptiert, als Diskussionskultur etabliert, ermöglicht dies den Schüler:innen, sich ihrerseits zu äussern, ohne ein Urteil der Mitschüler:innen fürchten zu müssen.
Was bedeutet das für den Musikunterricht?
- Teilhabe stärken: Kinder erleben Selbstwirksamkeit, wenn sie musikalisch mitentscheiden dürfen und ihre Meinung zählt, z.B. bei der Liedauswahl.
- Stärkung des eigenen ästhetischen Urteils: Die Schüler:innen werden darin unterstützt, sich zu musikalischen Werken ein faktenbasiertes, argumentativ gestütztes Urteil zu bilden und die eigene Diskussionsfähigkeit zu schulen.
- «Spiel-Regeln» auf Augenhöhe aushandeln: In musikalischen Improvisationen können Schüler:innen ihre eigenen Regeln absprechen, ausprobieren und verändern.
- Vielfalt hörbar machen: Ein vielfältiges musikalisches Repertoire fördert das Anerkennen unterschiedlicher Identitäten und Lebensrealitäten.
- Diskriminierung reflektieren: Lieder, die stereotype oder ausgrenzende Inhalte transportieren, werden von der Lehrperson kritisch hinterfragt und (je nach Alter der Schüler:innen) diskutiert bzw. Alternativen gesucht.
Das Ziel ist ein Musikunterricht, der möglichst allen Schüler:innen musikalische Partizipation und Anerkennung ermöglicht. «Doing Democracy» (vgl. Harald Welzer, 2025) findet dann erlebbar im Musikunterricht statt.
Und: wie bei allen überfachlichen Kompetenzen profitieren die Schüler:innen am meisten, wenn die Ziele der Demokratiepädagogik in möglichst vielen Fächern und in der Schulhauskultur umgesetzt werden können.
Angebote zum Thema
In den Praxistreffs Musik werden Möglichkeiten des demokratiepädagogischen Handelns im Musikunterricht diskutiert. Individuelle Fragen können in einer Unterrichtsberatung besprochen werden. Das Angebot zu Musik und Demokratie wird laufend ausgebaut.
Der Kurs «Darf man das noch singen?» lädt dazu ein, nicht theoretisch über Verbote zu reden, sondern mit konkreten Tools einen diskriminierungsfreien Raum im Musikunterricht zu etablieren und die eigene Haltung zu überprüfen.
Vertiefende Literatur
Ganz, Marshall (2025): Practicing Democracy Project, Harvard Kennedy School, Cambridge [online] https://www.hks.harvard.edu/centers/cpl/programs-initiatives/practicing-democracy-project#:~:text=The%20Practicing%20Democracy%20Project%20(PDP,Marshall%20Ganz
Gimaletdinow, H. (2020): Demokratieerziehung in der Schule. Der Beitrag des Faches Musik zu politischen und gesellschaftlichen Bildungsprozessen, Staatsexamensarbeit, Universität Rostock
Himmelmann, G. & Lang, D. (Hg.) (2010): Demokratiedidaktik. Impulse für die Politische Bildung, VS Verlag, Wiesbaden
Hofmann, B. & Puffer, G. (Hg.) (2019): Macht Musik. Beiträge zu den Tagen der Bayerischen Schulmusik 2018. Innsbruck/Helbling
Lipp, A./Bossen, A. (2023) Ästhetische Diskurskompetenz als Beitrag zur Demokratiebildung am Beispiel des Diskutierens über Musik, in: Diversität und Demokratie, Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
Riva, N. (2023): Chinesen, Affen und Trommeln. Warum Lieder verletzen können. Universität Würzburg/Bundeszentrale für politische Bildung
Welzer, H. (2025): Doing Democracy, FuturZwei, Berlin [online] https://futurzwei.org/article/1588