Toleranz fördern: gemeinsam gegen Diskriminierung, Rassismus und Mobbing

Diskriminierung und deren verbalen sowie physischen Auswüchse sind auch in der Schweizer Gesellschaft am Erstarken. Dieser Beitrag zeigt, warum es gerade als Bildungsinstitution wichtig ist zu handeln, und wie die PHBern Schulen sowie Lehrpersonen dabei unterstützt. Denn Wegschauen darf keine Option sein!

Diskriminierung in der Schweiz - wie sieht es aus?

Laut Monitorings des Bundes gaben im Jahr 2022 17% der Bevölkerung in der Schweiz an, innerhalb der letzten fünf Jahre eine rassistisch motivierte Diskriminierung erlebt zu haben. Besonders betroffen sind Menschen mit Migrationshintergrund und junge Menschen (15-24 Jahre). Besorgniserregend ist unter anderem die Feststellung, dass sich die Anzahl der betroffenen jungen Menschen mit 36% in den letzten fünf Jahren beinahe verdoppelt hat. Dabei rangieren Schule und Studium mit 27,4% hinter dem Arbeitsalltag, der Arbeitssuche sowie dem öffentlichen Raum auf Platz vier der Orte, an denen Diskriminierung erlebt wird. [1]

Die Studie Crime Survey 2022 hat die Antworten von 15’519 Menschen aus der schweizerischen Wohnbevölkerung ausgewertet. Die Hauptfrage war: „Hat jemand verbale oder körperliche Gewalt gegen dich angewendet oder damit gedroht, aufgrund deiner Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder Nationalität, Religion, Geschlechtsidentität, sexuellen Orientierung oder aus ähnlichen Gründen (Hate Crime)?“. Beinahe 9% der Jugendlichen haben Hate-Crime-Erfahrungen machen müssen. Es hat sich gezeigt, dass vor allem weibliche, jüngere sowie Befragte mit Migrationshintergrund signifikant häufiger von Hate Crime betroffen sind. Auch diese Studie zeigt, dass die Zahlen aus dem Jahre 2013 signifikant zugenommen haben. Die häufigsten Merkmale, auf die sich Hate Speech bezog, waren dabei (absteigende Häufigkeit): politische Überzeugungen, Nationalität/Migrationshintergrund, ethnische Herkunft/Hautfarbe sowie religiöse Überzeugung. Beispielsweise gaben rund 31% der Jüd:innen im Jahr 2020 an, im letzten Jahr antisemitisch belästigt worden zu sein. Ebenso 14,5% der Angehörigen geschlechtlicher Minderheiten und 6,7% der Angehörigen sexueller Minderheiten. Als Schauplätze für Hate Crime wurden auch hier Schule, Bahnhof oder öffentlicher Raum sowie Arbeitsplatz und Freizeitbeschäftigung angegeben. Ausserdem gaben 50% an, dass anwesende Personen weggesehen hätten. In rund 31% hätten sich Anwesende eingesetzt. [2]

Ein ähnliches Szenario zeichnet der Hate Crime Bericht 2024 der LGBTIQ Helpline. Dieser beschreibt die Diskriminierung und Gewalt gegenüber Menschen in der Schweiz, die sich zur LGBTIQ-Gemeinschaft zählen. Die Meldungen, welche bei der Helpline eingegangen sind, haben sich in einem Jahr auf 305 verdoppelt. Davon wurden nur 15% der Übergriffe polizeilich angezeigt. [3]

Zu betonten sind hierbei die längerfristigen Folgen für Betroffene: 75% der Befragten gaben an, dass sie aufgrund verbaler und physischer Angriffe mit langfristigen psychischen Belastungen zu kämpfen haben. [4] Ausserdem zeigen Betroffene von Hate-Crime eine signifikant niedrigere Lebenszufriedenheit sowie ein eingeschränkteres Sicherheitsgefühl. [5] Inwiefern eine verstärkte Sensibilisierung Auswirkung auf die Zahlen hat, verschweigen die Studien. Dass die Dunkelziffer von diskriminierenden Übergriffen noch grösser sein muss, zeigt die Tatsache, dass nur 5,3% der Übergriffe der Polizei gemeldet wurden. [6] Leider werden in den Studien keine Daten von Lernenden der Volkschule erhoben. Doch die oben erwähnten Zahlen lassen kein optimistisches Bild vermuten.

Wo liegt das Hauptproblem?

Der Bericht der Crime Survey 2022 hält fest, dass sich diskriminierende Straftaten auf Vorurteile zurückführen lassen. Die jeweils betroffenen Bevölkerungsgruppen unterscheiden sich je nach Gesellschaft und Zeit. [7] Somit müssen wir hier von struktureller Diskriminierung und strukturellem Rassismus sprechen. Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung definiert strukturellen Rassismus und dessen Auswirkungen folgendermassen:

„Struktureller Rassismus bezeichnet eine gesellschaftlich verankerte Benachteiligung oder Ausgrenzung rassifizierter Gruppen. Er zeigt sich in Werten, Handlungen und Normvorstellungen, die historisch gewachsen sind. Oft wird dies in der öffentlichen Wahrnehmung als ‘normal’ hingenommen oder kaum hinterfragt und prägt auch Gesellschaft, Institutionen oder Unternehmen. Struktureller Rassismus führt tendenziell zur Vervielfältigung von bestehenden Ungleichheiten.“ [8]

Betrachten wir den Lebensraum Schule etwas genauer, stellen laut Fachstelle für Rassismusbekämpfung viele Studien fest, dass Eltern der Lernenden mit Migrationshintergrund weniger die Möglichkeit haben, ihre Kinder bezüglich Bildungserfolg zu fördern. Dies kann zu einer Selektion führen, wobei Kinder mit Migrationshintergrund schlechter gestellt sind. Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung konstatiert, dass es nötig ist, Studien zu lancieren, welche die Wirkung von Stereotypen von weiteren Bevölkerungsgruppen auf das System Schule untersuchen. [9]

Für die Auseinandersetzung mit kollektiven Stereotypen sowie den eigenen Denkmustern braucht es auch in der Schule Raum für Reflexion.
Martina Burato, Wissenschaftliche Mitarbeiterin PHBern

Ist dies Aufgabe der Volksschule?

Natürlich ist der Schutz vor Diskriminierung in verschiedenen Rechten, Gesetzen sowie Handreichungen festgehalten. Angesprochen seien hier beispielsweise das Grundgesetz sowie die Menschen- und Kinderrechte. Trotz breiter Verankerung hat die Volksschule eine wichtige Rolle bei der Umsetzung, da sie einen Grundstein für einen toleranten Umgang miteinander legen soll. Das Volksschulgesetz definiert Aufgaben der Schule, gegen Diskriminierung und Rassismus sowie für mehr Toleranz folgendermassen:

  • Artikel 2.3: „Sie [die Volksschule] fördert das physische, psychische und soziale Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler und schützt ihre seelisch-geistige und körperliche Integrität. Sie sorgt für ein Klima von Achtung und Vertrauen.“ [10]
  • Artikel 2.4: „Die Volksschule weckt in ihnen [Lernenden] den Willen zur Toleranz und zu verantwortungsbewusstem Handeln gegenüber Mitmenschen und Umwelt sowie das Verständnis für andere Sprachen und Kulturen.“ [11]

Einerseits sollen die Lernenden vor diskriminierenden oder rassistischen Handlungen geschützt werden. Andererseits sollen die Schüler:innen Toleranz und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Vielfalt der Menschen lernen. Menschen- und Kinderrechte, Diskriminierung, Vorurteile, Rechte und viele weitere Themen sind im Lehrplan verankert. Vor allem den Fächern NMG, ERG und RZG werden diese Schwerpunkte zugeteilt. Somit ist es auch Aufgabe der Volksschule aktiv gegen Diskriminierung und Rassismus vorzugehen sowie Toleranz und friedliches Zusammenleben zu fördern.

Wo liegen mögliche Umsetzungsschwierigkeiten?

Klar ist, dass sich diese komplexe Frage nicht in der Kürze dieses Beitrages beantworten lässt, doch ein Versuch soll dennoch gewagt werden: Diskriminierung und Rassismus erwächst aus Vorurteilen. Niemand ist vorurteilslos, dies auch, da Menschen oft darauf angewiesen sind, Situationen in kürzester Zeit einzuschätzen und dabei zu entscheiden, wer und was einem gefährlich werden könnte. Dabei greifen wir auf Stereotypen, Vorurteile und Erfahrungen zurück. Trotz dieser wichtigen Eigenschaft gilt es, diese Vorurteile und Stereotypen zu hinterfragen, da gerade diese zu Diskriminierung und Rassismus führen. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, da Vorurteile tief verwurzelte Muster darstellen, die uns teilweise nicht bewusst sind. Diese sind im Alltag verankert und werden meist in keiner Weise als solche erkannt. Wenn sie erkannt werden, benötigt es Mut, sich gegen gesellschaftliche Normen zu stellen und das Umfeld auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen.

Für die Auseinandersetzung mit kollektiven Stereotypen sowie den eigenen Denkmustern braucht es auch in der Schule Raum für Reflexion. Insbesondere das Fach ERG könnte diesen Raum bieten. Leider werden diese eine bis zwei Wochenlektionen oft als Klassenstunde genutzt. Eine thematisch fundierte Unterrichtsvorbereitung ist nicht nur zeitintensiv, sondern verlangt auch seitens der Lehrperson eine Reflexion des eigenen Verhaltens und der kollektiven Normen sowie die Bewusstmachung von gesellschaftlichen Mechanismen. Weiter sind die Themen eine ethische Herausforderung, wobei sich viele Angriffsflächen auftun. Daher werden in vielen Schulen diese Themen leider nur angeschnitten oder erst bei akutem Bedarf (wenn das Problem bereits vorhanden ist) thematisiert.

Wie unterstützt Sie die PHBern?

Es gibt ein grosses Weiterbildungsangebot, das den Lehrpersonen zur Verfügung steht und Sie dabei unterstützt, Ihre eigenen Vorurteile zu hinterfragen und sich mit Diskriminierung auseinanderzusetzen. Das Team Medien und Beratung Ethik, Religionen, Gemeinschaft (ERG) der PHBern hat eine Webseite erstellt, die einen Überblick über diese Weiterbildungen und Unterrichtsmaterialien gibt. Sie weist neben den Weiterbildungsangeboten auch auf thematisch geordnete Filme, IdeenSets, Materialkisten, Sachbücher und Lehrmittel hin. Die Webseite dient als Sammelplatz aller Angebote der PHBern zu den Themen Diskriminierung, Rassismus, Mobbing usw. und soll den Lehrpersonen Orientierung und Hilfe bieten. Die Seite wird ständig erweitert und aktualisiert. Zusätzlich bietet das Team Medien und Beratung ERG diverse Beratungen für Lehrpersonen zu Medien und Unterrichtsgestaltung an oder stellt spezifische Themenkollektionen zusammen.

Quellen

[1] Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB 2024: Rassismus in der Schweiz: Zahlen, Fakten, Handlungsbedarf. https://backend.rassismus-in-zahlen.admin.ch/fileservice/sdweb-docs-prod-rassismuszahlench-files/files/2024/02/01/bbc746eb-f36d-4019-81e2-c9d1d163e4d0.pdf. S.11/17. Zuletzt besucht am 11.11.2024.

[2] Baier, Dirk; Biberstein, Lorenz & Markwalder, Nora 2023: Hate-Crime-Opfererfahrungen in der Schweiz. Ergebnisse des Crime Survey 2022.

[3] LGBTIQ Helpline 2024: Hate Crime Bericht 2024. https://www.pinkcross.ch/unser-einsatz/politik/hate-crime/hate_crime_bericht_2024_de.pdf S. 4-5. Zuletzt besucht am 11.11.2024.

[4] Ebd., S. 6.

[5] Baier, Dirk; Biberstein, Lorenz & Markwalder, Nora 2023: Hate-Crime-Opfererfahrungen in der Schweiz. Ergebnisse des Crime Survey 2022. S.17. Zuletzt besucht am 11.11.2024.

[6] Ebd., S. 15.

[7] Ebd., S. 4

[8] Fachstelle für Rassimusbekämpfung FRB 2023: Kurzfassung Grundlagestudien. Struktureller Rassismus in der Schweiz. S.1. Zuletzt besucht am 11.11.2024.  https://www.edi.admin.ch/edi/de/home/fachstellen/frb/publikationen/KurzfassungStudieStrukturellerRassismus.html. Zuletzt besucht am 15.08.2024.

[9] Ebd., S. 4.

[10] Kanton Bern 2022: Volksschulgesetz (VSG). https://www.belex.sites.be.ch/app/de/texts_of_law/432.210. Zuletzt besucht am 15.8.2024.

[11] Ebd.

Der Beitrag gibt die Sicht der Autorin bzw. des Autors wieder.
Martina Burato ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der Pädagogischen Hochschule PHBern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Artikel

Worum geht es, wenn vom „sprachsensiblen Unterricht“ die Rede ist?

Die Sprache ist ein Werkzeug des Denkens. Sie ist für den Aufbau von Logik und Vorstellungsvermögen und für das Folgern und Übertragen von Erkenntnissen auf andere Situationen entscheidend.

Erfahrungen teilen, Gegenwart gestalten: Reflexionen erfahrener Lehrpersonen

Lehrpersonen, die sich in der letzten Phase ihrer beruflichen Karriere befinden, haben vielfältige berufliche Veränderungsprozesse mitgestaltet und mitgetragen und dabei ihren reichen Erfahrungsschatz aufgebaut. Mich interessiert, mit welchen Themen sich Lehrpersonen in den letzten Berufsjahren im Umgang mit dem immerwährenden Wandel beschäftigen. Dieser Frage bin ich nachgegangen.

Vom Familientisch zum Kinderrestaurant? Schüler*innen schätzen die Selbstbestimmung beim Essen.

Wie kann das Mittagessen in Tagesschulen angenehm gestaltet werden? Ein Ansatz ist das «Kinderrestaurant», das in diesem Blogbeitrag vorgestellt wird.

Ähnlicher Artikel

Worum geht es, wenn vom „sprachsensiblen Unterricht“ die Rede ist?

Die Sprache ist ein Werkzeug des Denkens. Sie ist für den Aufbau von Logik und Vorstellungsvermögen und für das Folgern und Übertragen von Erkenntnissen auf andere Situationen entscheidend.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert