Mediationskompetenz in der Sprachförderung: Eine neue alte Fähigkeit?

Die Erweiterung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GER) im Jahr 2018 hat die Mediation (Sprachmittlung) stärker in den Vordergrund gerückt und die Lehrpersonen vor neue Herausforderungen gestellt. Was ist aber Mediation und welche Kenntnisse und Fähigkeiten beinhaltet diese Kompetenz?

Es geht nicht darum, im Klassenzimmer einen Streit zu schlichten oder zwischen sich zankenden Schüler:innen zu vermitteln. Viel eher ist Mediation ein Aspekt der Sprachförderung. Doch was muss eine (Fremd)Sprachen-Lehrperson alles können, um Mediation in den Unterricht zu bringen und zu fördern?

Mediationskompetenz im Sprachenunterricht, auch als Sprachmittlung bezeichnet, ist eine komplexe, integrative Fähigkeit, Kommunikation und Verständnis zwischen Personen zu erleichtern, die unterschiedliche Sprachen sprechen oder aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammen (EUROPARAT 2020). Diese Kompetenz umfasst nicht nur das Übersetzen oder Dolmetschen von Wörtern und Sätzen, wie es vor 2018 definiert wurde, sondern auch das Erklären und Vermitteln von kulturellen Bedeutungen und Zusammenhängen, um Missverständnisse zu vermeiden und eine effektive Kommunikation zu ermöglichen.
Mediationskompetenz umfasst somit eine Reihe spezifischer Fähigkeiten und Kenntnissen, über die sowohl Lehrende als auch Lernende verfügen müssen:

Sprachliche Fähigkeiten:

  • Übersetzen und Dolmetschen: Die Fähigkeit, mündlich und schriftlich zwischen zwei oder mehr Sprachen, sprachlichen Varietäten bzw. Dialekten zu vermitteln.
  • Paraphrasieren: Inhalte und Bedeutungen in eigenen Worten wiedergeben, um das Verständnis zu erleichtern.

Interkulturelle Kompetenz:

  • Kulturelles Bewusstsein: kulturelle Hintergründe, Traditionen und Wertvorstellungen der anderen kennen und verstehen.
  • Kulturelle Sensibilität: Respekt und Einfühlungsvermögen für kulturelle Unterschiede und die Fähigkeit, kulturelle Missverständnisse zu erkennen und zu beheben.

Soziale Fähigkeiten:

  • Empathie: Die Fähigkeit, sich in die Situation und Gefühle anderer hineinzuversetzen, um eine unterstützende und förderliche Lernumgebung zu schaffen.
  • Kooperationsbereitschaft: Zusammenarbeit mit Kolleg:innen, Eltern und der Gemeinschaft, um ein umfassendes Unterstützungssystem für die Schüler:innen zu schaffen.

Didaktische Fähigkeiten (besonders relevant für Lehrpersonen):

  • Methodische Vielfalt: Einsatz verschiedener didaktischer Strategien, um die Sprachmittlung zu unterstützen und das Lernen zu fördern.
  • Anpassungsfähigkeit: Die Fähigkeit, den Unterricht flexibel an die Bedürfnisse und sprachlichen Fähigkeiten der Schüler:innen anzupassen.

Bedeutung der Mediationskompetenz im Sprachenunterricht

Mediationskompetenz ist besonders wichtig in mehrsprachigen und multikulturellen Klassen, wie sie in vielen modernen Bildungssystemen immer häufiger anzutreffen sind. Mit ihrer langen Tradition der Mehrsprachigkeit ist die Schweiz dafür ein gutes Beispiel. In solchen Klassen müssen Lehrkräfte nicht nur Sprachbarrieren überwinden, sondern auch zwischen Kindern unterschiedlicher kultureller Erfahrungen vermitteln, um eine effiziente Kommunikation und ein harmonisches Lernumfeld zu gewährleisten.

Anwendung der Mediationskompetenz im Unterricht:

Hier einige praktische Beispiele und Tipps aus meiner Erfahrung, die euch helfen können, die Sprachmittlungskompetenz bei euren Schüler:innen zu fördern und somit ihre Mehrsprachigkeit als wertvolle Ressource zu benützen:

  • Einbezug kultureller Elemente: Lehrpersonen können kulturelle Feste, Traditionen und Geschichten in den Unterricht integrieren, um das interkulturelle Verständnis zu fördern.
    TIPP
    : Organisiert in eurer Klasse das Festival der Kulturen mit einem ganz konkreten Schwerpunkt: Küche, Märchen, Bräuche etc. und lasst eure Schüler:innen locker und ungezwungen über für sie vertraute Themen reden.
    Freundschaften lassen sich auch leicht beim Kaffee bzw. Kefir-Trinken schliessen. Wichtig ist hier, die Kinder selbst entscheiden zu lassen, welche „Kultur“ sie vertreten wollen. Ein Vorschlag des Auftrags für Kinder wäre z.B. der Folgende: „Wenn es ein Land/Ort/Küche/Kulturraum gibt, das ihr spannend findet oder mit dem ihr Berührungspunkte habt, dürft ihr dieses vorstellen“.
  • Rollenspiele und Simulationen: Durch Rollenspiele können Schüler:innen lernen, in verschiedenen sprachlichen und kulturellen Kontexten zu agieren und zu vermitteln.
  • Gruppenarbeit: Schüler:innen mit unterschiedlichen sprachlichen Hintergründen arbeiten zusammen an Projekten, wobei sie ihre Sprach- und Kulturkenntnisse einbringen und von den Erfahrungen der anderen lernen.
  • Mehrsprachige Kommunikation fördern: In Klassen mit Schüler:innen, die verschiedene Sprachen sprechen, kann die Lehrperson durch gezielte Sprachmittlung sicherstellen, dass alle Schüler:innen die Unterrichtsinhalte verstehen und sich aktiv am Unterricht beteiligen können.
    TIPP: Lasst die Kinder entscheiden bzw. abstimmen, in welcher Sprache ein deutsches Wort (z.B. der Stern) am schönsten klingt. Vielleicht bringen ihre SuS solche Lexeme wie «stella» (Italienisch), «étoile» (Französisch), «estrela» (Portugiesisch), «sirka» (Ukrainisch), «yll» (Albanisch) etc. mit?

Angebote der PHBern

Alle Angebote der PHBern zu Deutsch als Zweitsprache finden Sie hier:

Literaturverzeichnis

  1. EUROPARAT (2020): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Begleitband. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen.
  2. Studer, Thomas (2020): Jetzt skaliert! Plurikulturelle und mehrsprachige Kompetenzen im erweiterten Referenzrahmen. In: Deutsch als Fremdsprache 1, S. 5-26.
Der Beitrag gibt die Sicht der Autorin bzw. des Autors wieder.
Yuliya Pyvovar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen der Pädagogischen Hochschule PHBern.

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